Solidaritätsbeiträge für Verdingkinder: «Wiedergutmachung ist das falsche Wort»
Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen können aktuell ein Gesuch auf Wiedergutmachung stellen. Diese Möglichkeit wurde zu Beginn kaum genutzt, seit einigen Monaten treffen vermehrt Gesuche ein. Die Frist dafür endet am 31. März.
Das Wichtigste in Kürze
- Ehemalige Verdingkinder und Opfer von fürsorglichen Zwangsmassnahmen werden mit 300 Millionen Franken entschädigt.
- Theresa Rohr wurde selber misshandelt. Sie motiviert Leidensgenossen dazu, ein Gesuch für Wiedergutmachung zu stellen.
- Nachdem zu Beginn nur wenig Gesuche gestellt wurden, treffen nun immer mehr ein.
- Täglich werden 20 bis 50 neue Gesuche gestellt.
Verdingkinder, administrativ Versorgte, Zwangssterilisierte, Zwangsadoptierte, Heimkinder und andere von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen betroffene Menschen können noch bis zum 31. März beim Bundesamt für Justiz (BJ) ein Gesuch für einen finanziellen «Solidaritätsbeitrag» stellen. Gemäss Reto Brand, Fachbereich Fürsorgerische Zwangsmassnahmen vor 1981 (FSZM) des BJ, seien bis Donnerstag, 8. Februar 2018, 5'261 Gesuche eingereicht worden. Pro Arbeitstag kämen gegenwärtig etwa zwischen 20 und 50 Gesuche hinzu. Die Zahl der Opfer ist aber viel höher: Der Bund geht von 12'000 bis 15'000 Anspruchsberechtigten aus.
«Das, was geschehen ist, kann man nicht mehr gut machen»
Auch Theresa Rohr hat im April 2017 einen Antrag auf einen Solidaritätsbeitrag gestellt. «Eine Wiedergutmachung ist das aber nicht. Das, was geschehen ist, kann man nicht mehr gut machen. Viele Menschen können bis heute auch nicht darüber sprechen», so Rohr. Damit spricht sie die «Wiedergutmachungsinitiative» an, durch welche das «Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981» überhaupt umgesetzt wurde.
Rohr blickt auf eine jahrelange Leidensgeschichte mit vielen Misshandlungen zurück: «Die ganze Gesellschaft – Behörden, Lehrer, Pfärrer – haben alle zusammengehalten.» Deshalb sei die Scham und Angst bei den Betroffenen manchmal noch zu gross, um aktiv zu werden. Mindestens vier Freunde habe sie aber dazu motivieren können, ein Gesuch beim Bund einzureichen.
Insgesamt 300 Millionen Franken Entschädigung
Anspruch auf diesen Solidaritätsbeitrag haben Betroffene, die vor 1981 Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen geworden sind. Dafür werden vom Bund insgesamt 300 Millionen Franken bereitgestellt, die mit maximal 25'000 Franken pro Person ausbezahlt werden.
Für Theresa Rohr steht aber nicht der finanzielle Aspekt im Vordergrund. «Es geht darum, einen Schlussstrich zu ziehen», und so das düstere Kapitel der Verdingung abzuschliessen, so die 71-Jährige.