Werden Linksextreme in der Schweiz gewaltbereiter?
Die linksextremen Szenen der Schweiz und Deutschland sind stark vernetzt. In Deutschland wird aber mehr Gewalt eingesetzt. Schwappt dies auf die Schweiz über?
Das Wichtigste in Kürze
- Einige linksextreme Gruppen in Deutschland gehen mit Gewalt gegen Neonazis vor.
- In der Schweiz wird dies von vielen Gruppierungen legitimiert oder befürwortet.
- Die Spannungen zwischen Links- und Rechtsextremen sind in der Schweiz aber weniger extrem.
Linksextreme Szenen sind international stark vernetzt, beispielsweise die Schweizer mit der deutschen. Ein Unterschied besteht aber in der Gewaltbereitschaft der Gruppierungen in den beiden Ländern: In Deutschland kommt es häufiger zu gewaltsamen und geplanten Angriffen auf Rechtsextreme oder die Polizei. Die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) analysiert, wie es in der Schweiz aussieht.
Eine der gewaltsamen linksextremen Gruppierungen in Deutschland ist die «Hammerbande». Diese attackierte in genau geplanten Aktionen Neonazis. Die 13 Angriffe waren brutal – mit Hämmern wurde auf Schädel und Sprunggelenke eingeschlagen.
Lina E., das Oberhaupt der Gruppe, wurde wegen der Angriffe zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Das Urteil über die 28-jährige Pädagogikstudentin ist jedoch noch nicht rechtsfähig.
In der Schweiz zeigten sich verschiedene linksextreme Gruppen solidarisch mit Lina E, berichtet die Zeitung. In Bern, Zürich, Winterthur und La-Chaux-de-Fonds gab es Infoanlässe zum Thema und in mehreren Städten sind «Free Lina»-Graffitis aufgetaucht. Das alternative Radio «Lora» sprach von Lina als einer «politischen Gefangenen». Linas Taten wurden in einem Communiqué von Basler Linksextremen als «antifaschistische Praxis» bezeichnet.
All dies weise darauf hin, dass Schweizer Linksextreme Gewalt legitimieren. Sie könne im Zusammenhang mit dem Kampf gegen Rechtsextreme als berechtigtes Mittel eingesetzt werden.
Linksextreme Angriffe in der Schweiz sind spontaner und weniger brutal
Faktisch kam es in der Schweiz bisher auch schon zu Angriffen von Linksextremen. Diese zeigen sich aber normalerweise als spontaner und weniger brutal. Gerade kürzlich wurden zwei Polizisten «vor einem Szenenlokal von Hunderten Linksextremen angegriffen» worden, meldete die Kantonspolizei Basel-Stadt. Laut Augenzeugen hätte die Polizei aber auch taktisch unklug gehandelt – sie fuhr mitten in eine feiernde Menschenmenge hinein.
Ein Experte ordnet die Gewaltbereitschaft von linksextremen Gruppierungen in der Schweiz ein: Der Psychotherapeut Adrian Oertli ist Experte für politische Radikalisierung und war bis 2009 selbst Mitglied einer gewaltbereiten linksextremen Gruppe. Er wurde ausgeschlossen, nachdem er die Ausübung von Gewalt hinterfragt hatte.
Er meint, dass Gewalt gegen Menschen in linksextremen Gruppen strukturell angelegt sei. Die Befürwortung der Hammerbande-Attacken würde als «eine Art Einschwören» angesehen. Das Thema würde in linksextremen Gruppen folgende Frage aufwerfen, sagt Oertli: «Bist du bereit, für die politische Gruppe deine Menschlichkeit zu verraten?»
Gleichzeitig sei die Situation in der Schweiz jedoch um einiges weniger angespannt als in Deutschland. Dies wirke deeskalierend, sagt Oertli: Rechtsextreme in der Schweiz seien deutlich in der Unterzahl und weniger gewaltbereit als im Nachbarland. Oertli erklärt: «Die Eskalationsstufe zwischen linken und rechten Kräften in der Schweiz ist auf einem niedrigeren Niveau als in Deutschland».