Zahl der antisemitischen Vorfälle bleibt weiter «beispiellos hoch»
Auch 2024 ist es in der Schweiz zu zahlreichen antisemitischen Vorfällen gekommen. Diese liegen auf «beispiellos hohem Niveau».

Das Wichtigste in Kürze
- In der Schweiz ist es 2024 erneut zu zahlreichen Antisemitismus-Vorfällen gekommen.
- Trauriger Höhepunkt: ein Messerangriff in Zürich.
- Total wurden 221 antisemitische Vorfälle gemeldet, steht im Antisemitismusbericht.
2024 hat es erneut zahlreiche antisemitische Vorfälle gegeben – vor allem wegen der Kriege im Nahen Osten. Die Zahlen bewegen sich im Vergleich zur Zeit vor dem 7. Oktober 2023 auf einem «beispiellos hohen Niveau». Trauriger Höhepunkt war der Messerangriff in Zürich.
Insgesamt registrierten die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) und der Schweizerisch Israelitische Gemeindebund (SRG) in der deutsch-, italienisch- und rätoromanischsprachigen Schweiz im letzten Jahr 221 antisemitische Vorfälle, wie sie in ihrem am Dienstag veröffentlichten Antisemitismusbericht 2024 schrieben.
Das sind 43 Prozent mehr als 2023 und sogar 287 Prozent mehr als 2022, dem Jahr vor dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023. Während es vor 2023 kaum zu tätlichen Angriffen auf Jüdinnen und Juden gekommen war, gab es 2024 deren 11.
Massive Zunahmen seien auch bei den antisemitischen Aussagen verzeichnet worden, mit 103 gegenüber 38 im Vorjahr und 6 im Jahr 2022. Nach längerer Zeit wurden dem SIG auch wieder zwei Sachbeschädigungen gemeldet. Die Zahl der Beschimpfungen lag bei 44, die der Schmierereien bei 44 und die Zahl der antisemitischen Auftritte bei 10, wie es weiter hiess.
Bei der Meldestelle seien rund 500 Meldungen eingegangen, aber «nur» 170 davon seien als eindeutig antisemitisch eingestuft worden. Besonders in Zusammenhang mit Israel seien viele Schmierereien oder Slogans gemeldet worden, die nicht als antisemitisch klassifiziert werden könnten. 51 Vorfälle erfasste der SIG selber.
Vorwurf der Mitschuld
Ein zentrales Problem liege darin, «dass die Schweizer Jüdinnen und Juden vielfach als Israeli angesehen und so für militärische Aktionen und die Politik Israels verantwortlich gemacht» würden, heisst es in dem Bericht weiter.
Schweizerinnen und Schweizer jüdischen Glaubens würden tätlich angegriffen, beschimpft oder bespuckt, weil man sie für mitschuldig an den Kriegen in Gaza und Libanon halte. Kinder und Jugendliche an Schulen und Universitäten würden aufgefordert, sich von der israelischen Regierung zu distanzieren, einer Regierung, die sie nie gewählt hatten.
Messerangriff und Brandanschlag in Zürich
Dadurch werde das judenfeindliche Stereotyp der doppelten Loyalität bedient: «Dass nämlich Jüdinnen und Juden nur sich selbst und Israel gegenüber loyal und keine richtigen Schweizer» seien, hiess es in dem Bericht weiter.
Dieses Denken habe auch zum traurigen Höhepunkt im letzten Jahr geführt, dem Messerangriff eines 15-jährigen Schweizers mit tunesischem Migrationshintergrund auf einen jüdisch-orthodoxen Mann im März in Zürich. Dabei hatte das Opfer nur mit viel Glück überlebt. Dazu kamen ein versuchter Brandanschlag auf eine Synagoge und weitere 11 tätliche Angriffe.
Zusammenhang mit Nahost-Kriegen
Bei mindestens 45 Prozent als antisemitisch eingestuften Vorfällen in der realen Welt bestand laut SIG ein direkter Bezug zu den Kriegen im Nahen Osten. Auch online dominierte der Bezug zu den Kriegen: In rund 28 Prozent der insgesamt 1596 registrierten antisemitischen Vorfälle konnte ein solcher hergestellt werden.
Seit Anfang 2024 überwacht der SIG das Internet mit einer speziellen Software, die Social-Media-Plattformen und Kommentarspalten nach bestimmten Begriffen durchsucht. Sie erkenne auch, ob die Posts aus der Schweiz stammen.
Der grösste Teil der antisemitischen Vorfälle wurde so auf dem Messenger-Dienst Telegram gesichtet (890). An zweiter Stelle folgten laut SIG die Kommentarspalten von Online-Zeitungen mit 300. Bei Tiktok wurden 103 Vorfälle entdeckt, auf X 94, auf Instagram 51 und auf Facebook 40.
Gefühl der Unsicherheit
All diese Vorfälle verstärkten das Gefühl der Unsicherheit der jüdischen Gemeinde in der Schweiz. Viele versteckten deshalb religiöse Symbole wie eine Davidsternkette oder die Kippa. Eine von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHWA) Ende 2024 durchgeführte Studie habe das bestätigt.
Es sei die Aufgabe der gesamten Gesellschaft, sich gegen Antisemitismus und alle anderen Formen des Rassismus und der Diskriminierung zu stellen. Gegenrede, Zivilcourage, Dialog und Aufklärung seien wesentliche Mittel, um Vorurteile abzubauen und Toleranz und Verständnis zu schaffen, hiess es in dem Bericht weiter.
Doch es brauche auch die aktive Unterstützung der Politik und der Behörden, damit Antisemitismus in der Schweiz bekämpft werden könne. Die im Moment diskutierte Antisemitismusstrategie wäre «zum jetzigen Zeitpunkt dringend nötig», wie auch griffige Massnahmen bei der Prävention und der Sensibilisierung. Und es müsse endlich eine wirksame rechtliche Handhabe gegen Online-Hassrede geschaffen werden.