Zürich hatte «vielfältige und relevante» Verbindungen zur Sklaverei
Die Stadt Zürich ist mitverantwortlich für die Versklavung tausender Afrikanerinnen und Afrikaner. Dies anhand von Staatsanleihen, Handel und Plantagen.
Das Wichtigste in Kürze
- Eine Studie zeigt: Zürich war im 18. Jahrhundert an der Sklaverei finanziell beteiligt.
- Die Unterstützung erfolgte durch Aktien, den Handel und Plantagen.
- Die Stadt will die Bezüge zu Rassismus und Kolonialismus nun sichtbar machen.
Die Stadt Zürich war an der Sklaverei und dem Sklavenhandel finanziell beteiligt. Sie ist somit mitverantwortlich für die Versklavung tausender Afrikanerinnen und Afrikaner. Die Unterstützung erfolgte durch Staatsanleihen, den Handel und Plantagen.
Die Verbindungen Zürichs zur Sklavenwirtschaft waren «vorhanden, vielfältig und relevant». Dies sagte Frank Schubert, Mitautor einer Studie der Universität Zürich, am Dienstag vor den Medien.
Aktien der South Sea Company
Diese Verbindungen waren Ausdruck einer Tradition einer langen Verflechtung und Vernetzung mit der aussereuropäischen Welt. Im Jahr 1727 kaufte die Stadt gemäss der Studie 120 Aktien der englischen South Sea Company, einer Sklavenhandelsgesellschaft.
Das Unternehmen hatte bis 1739 ein Monopol auf den Import versklavter Arbeitskräfte in die spanischen Kolonien Südamerikas. Während der Zeit der Zürcher Beteiligung verschleppte es 8636 Afrikanerinnen und Afrikaner dorthin.
Gleichzeitig verschiffte die Company 27'858 Sklavinnen und Sklaven im inneramerikanischen Sklavenhandel. Die Zürcher Beteiligung an der Company sei zwar weitaus kleiner gewesen als etwa jene Berns, sagte Schubert. Laut Studie hielt die Stadt Bern 1300 Anteile. Doch Zürichs Anteil sei grösser gewesen als jener des englischen Königs.
Leu-Obligationen
Zürich investierte auch über die halbstaatliche Zinskommission Leu & Co. in die Sklavereiwirtschaft. Die 1755 gegründete Kommission hatte laut Studie den Auftrag, Staatsgelder gewinnbringend im Ausland anzulegen. Auch das Bürgertum investierte in Leu-Obligationen.
Von 1757 bis 1798 lieferte die Zürcher Kommission Geld an die dänische Krone. Diese nutzten das Geld zum Ausbau und der Sicherung seines Kolonialbesitzes. Auf den dänischen Antillen arbeiteten damals mehrere tausend Sklavinnen und Sklaven. Drei Mal investierte der dänische König direkt in den Sklavenhandel und brachte so neue Sklavinnen und Sklaven auf die Inseln.
Neben der Stadt Zürich war auch die Zürcher Wirtschaft mit der Sklaverei verbunden. So beteiligte sich etwa ein Hans Konrad Hottinger mit seiner Firma Hottinger & Cie an Sklavenschiffen. Dies war in den Jahren 1791 und 1792. Hottinger erhielt für jene Geschäfte, die sich nicht auf den Sklavenhandel beschränkten, zudem «regelmässig» Kredite der Zinskommission Leu & Co.
Beteiligung der Zürcher Textilindustrie
Daneben war auch die Zürcher Textilindustrie strukturell mit der Sklavenwirtschaft verbunden. Im 18. Jahrhundert waren in Zürich gefertigte Indienne-Stoffe ein zentrales Frachtgut im Sklavenhandel.
Die Tücher wurden in Westafrika gegen Sklavinnen und Sklaven getauscht. Sie waren eines der wenigen europäischen Produkte, die dafür akzeptiert wurden, wie Studien-Mitautor Schubert sagte.
Dazu kam im 19. Jahrhundert die Baumwolle für die Zürcher Textilindustrie «nahezu ausschliesslich» vom amerikanischen Kontinent und damit aus Sklavenproduktion. Den Textilfabrikanten war dieser Umstand bekannt. Sie glaubten aber, dass ohne Sklavenarbeit die Baumwollwirtschaft zusammenbrechen würde, sagte Schubert.
Sklavereiwirtschaft und die Familie Escher
Die Textilindustrie war auch Ausgangspunkt der hiesigen Maschinenindustrie. Das Unternehmen Escher, Wyss & Cie. etwa entwickelte sich von einer Baumwollspinnerei zu einer Maschinenfabrik. Die Ursprünge dieses Industriezweigs sind damit mit der Sklaverei verknüpft, wie die Studie festhält.
Die Studie beleuchtet auch die Verbandelungen der Familie Escher mit der Sklavereiwirtschaft. So habe Alfred Escher nur indirekt mit der Kaffeeplantage mit über 80 Sklaven seines Onkels auf Kuba zu tun gehabt. Allerdings half er seinem Vater Heinrich ab 1846 bei deren Verkauf. Betrieb und Verkauf der Plantage dürfte zum Vermögen beigetragen haben, das Alfred Escher von seinem Vater 1853 erbte.
Den Verkauf der Plantage fädelten die Eschers dabei so diskret wie möglich ein. Denn ab den 1830er- bis 1860er-Jahren gab es in den Medien erstmals eine Debatte über deren Beteiligung am Sklavenhandel. «Mitte des 19. Jahrhunderts galten Sklaverei und Sklavenhandel in Zürich als verwerflich», sagte Schubert.
Stadt Zürich prüft die Studie
Die Stadt Zürich reagiert auf die am Dienstag publizierte Studie der Universität Zürich zur Sklaverei. Sie prüft jetzt, wie die Bezüge der Stadt zu Rassismus und Kolonialismus im öffentlichen Raum sichtbar gemacht werden können.
Die Stadt wird über 80 Denkmäler überprüfen, wie Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) am Dienstag sagte.
Dafür zuständig sei die Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum (AG Kiör). Mit Ergebnissen rechnet die Stadt im Jahr 2023.
Man dürfe die Augen nicht vor der eigenen Vergangenheit verschliessen, sagte Mauch weiter. «Zürich war an der Verschleppung tausender Menschen beteiligt.» Der Kolonialismus ohne eigene Kolonie sei unsere gemeinsame Vergangenheit.