Coole Zürcher, tumbe Landeier?

Reda El Arbi
Reda El Arbi

Frauenfeld,

«Fadegrad»-Kolumnist Reda el Arbi weiss: Zürich ist der Mittelpunkt des Universums. Alles andere ist hinterwäldlerisches Hinterland, intolerant und irrelevant.

Reda el Arbi
Arroganter Zürcher in seinem natürlichen Habitat. - arianepochon-fotografie.com/

Das Wichtigste in Kürze

  • Nau.ch-Kolumnist Reda el Arbi erklärt die linksgrünversiffte Welt.
  • Reda el Arbi erlangte als Blogger beim «Tagesanzeiger» Bekanntheit.
  • Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
  • Er lebt mit Frau und Hund in Stein am Rhein SH.

Natürlich gibt's in der Schweiz nur eine Stadt. Alles, was man nicht vom Zürcher HB mit Tram oder Velo innerhalb von dreissig Minuten erreichen kann, ist finsterstes Entwicklungsgebiet, wo Hinterwäldler und Rednecks hausen und Banjo spielen.

Als Stadtzürcher wurde ich immer angefeindet, wenn ich so offensichtliche Wahrheiten wie die obenstehende verbreitete. Und ich konnte einfach nicht verstehen, wieso. Und dann verliess ich die Stadt Richtung Hinterland.

Aber wie lebt man als Hardcore-Stadtzürcher in einem 3500-Seelen-Städtchen wie Stein am Rhein? Als in der Wolle gefärbter, urbaner Linksgrüner kann doch da das Leben nur extrem schwierig sein? Schliesslich sieht man bei jeder Abstimmung, wo die weltanschauliche Bruchkante liegt. Alles intolerante Chnuschtis!

zürich
Die Stadt Zürich. Für viele Haushalte gibt es hier Mobility Carsharing jetzt gratis. (Archivbild) - zuerich.com

Nun ja, nein. Während ich in der Stadt in einer Blase von Gleichgesinnten lebte, kaum Kontakt zu politisch Andersdenkenden hatte, geht das in einer kleinen, ländlichen Gemeinde nicht. Man hat miteinander zu tun, muss irgendwie auskommen.

Im Kreis 4 und 5 waren meine Bekannten sehr tolerant gegenüber allen, solange sie progressiv linksgrün oder wenigstens grünliberal waren. Man war auch ausländerfreundlich, solange die Fremden nicht aus dem Aargau, der Agglo oder der Schweizer Provinz kamen.

Nun ja, das war vielleicht in Stein ähnlich. Ich wurde nie für meinen arabischen Namen schief angeschaut, aber meine Zürrischnurre verursachte das eine oder andere Stirnrunzeln und brachte mir Sprüche ein. Aber inzwischen bin ich IHR Zürcher, ich wurde also quasi adoptiert.

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Die Zürcher Langstrasse. - Keystone

Ach ja, Zürcher sind sogar Zürchern gegenüber arrogant, wenn sie aus dem falschen Kreis kommen. Schwamendingen ist pfui, Oerlikon eher auch. Und natürlich geht man nicht in den Kreis 1, 2 oder 8, wenn man nicht gezwungen ist. Das ist schliesslich nicht das «das richtige Zürich».

In Stein zeigt sich das auch. Die Unterstadt und die Oberstadt (Luftlinie 150 Meter) gönnen sich nicht die Butter auf dem Brot. Jeder hat das Gefühl, die anderen nehmen ihm das gute Geschäft weg. Nur das homosexuelle Pärchen mit dem Kiosk wird von allen geliebt. Es menschelt halt überall.

stein am rhein
Stein am Rhein: Die Unterstadt und die Oberstadt (Luftlinie 150 Meter) gönnen sich nicht die Butter auf dem Brot. - bodensee-radweg.com

Integration ist in meinem städtischen Umfeld ein stehender Wert, aber jeder, der neu in Zürich ankommt, weiss, wie hart es ist, Anschluss zu finden. Man kann gut und gerne drei Jahre in eine Beiz oder einen Club gehen, bevor jemand mit einem spricht. Und dann gehört man noch lange nicht dazu. Zürich funktioniert in Szenen, in Zugehörigkeit, in Status. Man muss quasi die richtigen Signale senden, die richtige Kleidung tragen, die richtige Musik hören, den richtigen Job haben (etwas mit Kunst, etwas mit Medien, etwas mit IT, PROJEKTE!!), um irgendwann nach ein paar Jahren eine Gruppe zu finden, zu der man sich zugehörig fühlen darf.

In Stein ist das gar nicht so anders. Nur muss man sich hier in der Feuerwehr, dem Turnverein, beim historischen Verein, bei irgendeinem Verein engagieren, um Teil der Gemeinschaft zu werden.

Aber in Stein wird man auf der Strasse angesprochen. Mehr als nur ein «Grüezi!». Als Stadtzürcher war das gewöhnungsbedürftig. Die einzigen Worte, die ein Fremder in Zürich in den letzten Jahren an mich richtete, waren: «Häsch mer en Stutz?». Wenn jemand im Tram das Gespräch sucht, hält man seine Brieftasche fest und tastet nach dem Pfefferspray.

Der Unterschied besteht in der Heterogenität. Während ich in Zürich eben in dieser Blase Gleichgesinnter lebte, konnte ich hier auf dem Land etwas über Toleranz lernen. Der liberale Buchhändler ist genauso mein Freund wie der ehemalige Grenzschützer aus der SVP oder der SP-Archivar. Menschen zählen wieder stärker als Vorurteile. In erster Linie, weil meine Vorurteile die meisten Begegnungen nicht überleben.

Was in Zürich «Solidarität» genannt wird, heisst hier «Gemeinsinn» und bezeichnet die Verantwortung, die man anderen Gegenüber empfindet. Zum Beispiel gegenüber Flüchtlingen. Das glauben Sie nicht? Hier ein Zitat eines Rechtsbürgerlichen zum damaligen Staaner Flüchtlingsheim: «Das sind UNSERE Flüchtlinge, die müssen eine Gattung machen. Schauen wir, dass die anständige Kleider bekommen und integriert werden.»

Natürlich ist das Leben auf dem Land ganz anders. Wo man in der Stadt angenehm in der Anonymität untergehen kann, ist man auf dem Land ständiger Beobachtung ausgesetzt. Wenn man seinen Garten vergammeln lässt, bringt einem das keine Freunde. Jeder weiss, wer wann mit wem nach Hause geht. Und nach der Fasnacht gibts Scheidungen und neue Kinder quer durchs Städtchen. Dafür weiss aber auch jeder, wem es grad nicht so gut geht, um wen man sich kümmern muss, wo man auch mal einschreiten muss. Man ist Teil der Gemeinschaft.

Natürlich sind das alles überspitzte Pauschalurteile. Es gibt überall engstirnige Idioten und weltoffene, empathische Menschen. Trotzdem musste ich mein Weltbild revidieren.

Bin ich jetzt ein Landei geworden? Nicht wirklich. Vielleicht ist das das Zürcherischste überhaupt: Die tiefe Überzeugung, dass Zürich da ist, wo ich bin. Ich werde nicht zum Staaner, aber Stein wird etwas mehr Zürich.

Zum Autor: Reda el Arbi ist 50-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und Hund in Stein am Rhein SH.


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