Corona und Demokratie – eine Unverträglichkeit?
Vertragen sich das Coronavirus und Demokratie nicht? Wie viel Kritik am Bundesratskurs ist möglich? Ein Gastbeitrag von Radu Golban zum Coronavirus.
Das Wichtigste in Kürze
- Inwiefern verträgt sich die Corona-Krise mit den Regierungssystemen?
- Ein Gastbeitrag von Radu Golban zum Verhältnis von Demokratie und Coronavirus.
Die Einweisung wegen nicht regierungstreuer Corona-Ansichten eines Schweizer Kardiologen und einer bekannten bundesdeutschen Anwältin in die Psychiatrie legt auch ein klares Zeugnis von der politischen Kultur einer Nation ab. Ebenso deutet ihre Stigmatisierung als verwirrte Verschwörungstheoretiker auf ein schäbiges Gesellschaftsbild hin.
Ihr gesundheitlicher Zustand ist im Hinblick auf die Konsistenz ihrer Argumente in der Corona-Debatte nebensächlich, wie auch die psychischen Leiden zahlreicher Persönlichkeiten, von Goethe, Schiller, Shakespeare bis Beethoven, Brahms und Kant, ohne deren Werke die Welt weit ärmer wäre.
Da selbst Diktaturen sich den Anschein der Demokratie nicht nehmen lassen, ist die lockere Hand bei der Internierung Andersdenkender auch ein Gradmesser für bürgerliche Freiheit. Bei der Psychiatrie als Exekutionskommando waren seit jeher Kommunisten, Faschisten und Militärjuntas aus dem gleichen Holz geschnitzt. Doch wie sieht es vor unserer eigenen Haustür aus?
Zurückhaltung bei Stigmatisierung
Gerade Länder wie Deutschland und die Schweiz, welche mit der «Lehre vom guten Erbe» und «moralischer Idiotie» Pionierleistung zum Leidwesen von Abertausenden vollbracht haben, sollten sich bei der neuerlichen Stigmatisierung etwaig verwirrter Menschen in Zurückhaltung üben. Keinem Unrechtsregime fehlte zur Internierung in die Psychiatrie die Rechtsgrundlage, muss doch das Antlitz der an Recht gebundenen staatlichen Gewalt gewahrt bleiben.
Je volkspädagogischer der Ansatz der Technokraten zur Einhaltung der Hygiene und ausufernder die Gesetzesnamen zur Bekämpfung eines grippalen Infektes sich präsentieren, desto mehr erweckt es den Eindruck, dass der weisse Kittel, die Mundschutzmaske und die Zwangsjacke wohl zu den Standarten der neuen Ordnung gehören. Ganz als ob die neuen Gesetzesnamen in der Länge mit dem afrikanischen Despoten Mobutu Sese Seko Kuku Ngbendu wa za Banga konkurrieren würden.
Die länderspezifischen Umsetzungen der COVID-19-Eindämmungsmassnahmen sind so partikulär, dass man gegenwärtig damit zum Zeitvertreib vorzüglich Blinde Kuh spielen könnte. Der eine nennt die Massnahmen und die Kuh muss das Land beim Namen nennen.
Überwachung in Asien, Denunziantentum in der Schweiz
Penible digitale Überwachung in Asien, schicke Militäruniformen und Gesang entlang der südlichen Flanke Europas, Hora im Ein-Meter-Abstand auf dem Balkan, preussischer Militarismus mit Durchhalteparolen von Mahnern in Deutschland und Denunziantentum in der Schweiz als ländertypische Eigenschaften lassen erst richtig Laune beim Gesellschaftsspiel aufkommen.
Die fachliche Rückendeckung für Denunzianten lieferte jüngst der vom Schnüffelfetisch ergriffene Psychologe Jürg Ruedi, der dafür nur lobende Worte fand. Ich weiss nicht, was schlimmer ist: dass er nicht die Chance hatte, sein widerwärtiges Menschenbild unter Calvins Moralterrorregime in Genf des 16. Jhs. auszuleben, oder – da der gefeierte Inquisitor Calvin nicht unter uns verweilt – Herrn Jürg Ruedi mit dem Ausbau des Repressionsapparats zu beauftragen.
Das erste Szenario wäre mir persönlich lieber, da nur wenige elitäre Intellektuelle noch heute ein Loblied auf die Moralhygienediktatur während seiner Schreckensherrschaft in Genf singen. Zum Glück ist Calvin jedoch Geschichte. Dennoch hat sich offensichtlich seit dieser Zeit in der Schweiz etwas Untertänigkeit und Glaube an die Obrigkeit bewahrt, weshalb Menschen, die sonst über ihre politischen Geschicke frei abstimmen könnten, noch heute an ideologische Fixpunkte so glauben.
Frommes Warten auf Bundesrat
Doch womit konditioniert sich eine Gesellschaft ihre anscheinend so freien Bürger? Wenn hierzulande das Konkubinatsverbot (wilde Ehe), das bei der üblen Sanktionierung unverheirateter Paare heute wohl nur noch von Saudi-Arabien übertroffen wird, bis vor wenigen Jahrzehnten mit der gelobten Demokratie vereinbar war, dann wird das fromme Abwarten auf die Benotung der Bevölkerung durch den Bundesrat für den Verzicht auf den Osterspaziergang allzu verständlich.
Die Formulierung zum Lehrverbot in wilder Ehe lebender Menschen, wonach es eine «destruktive Grundeinstellung gegenüber dem Rechtsstaat und seinen demokratischen Einrichtungen» sei, entstammt nicht aus der Feder eines NS-Ideologen, sondern aus dem Behördendeutsch des Kantons Zug vor nicht allzu langer Zeit.
Noch 1979 waren in der Hälfte der Kantone solche Regeln in Kraft. Nicht weniger konditionierend waren die oft mit Eugenik (Erbgesundheitslehere) motivierten Massnahmen bis in die 1980er Jahre (Sterilisierung, Kastration, Heiratsverbot), den «Volkskörper» von moralisch Degenerierten, Behinderten, Verarmten oder Alkoholikern zu reinigen. Solch staatliche Eingriffe im Namen der Volksgesundheit hinterlassen tiefe Furchen in Form von Angst und Einschüchterung bei einer ganzen Gesellschaft.
Obschon Maskentragen in aller Munde ist, legen die Staaten die Masken beim Wechsel vom vormals bürgernahen Schmusekurs der Politik zum Würgegriff der Hygieneapostel gänzlich ab. Das Eigentümliche an der totalitären Herrschaft besteht stets in dessen Begründung mit einer existenzbedrohenden Gefahr.
Gefängnis ohne Mauern
Zwar mag der neue grundrechtsbeschneidende Polittrend als eine virologisch begründete Wirklichkeit neu sein, doch ändert das wenig am totalitären Prinzip, wonach es eine rationale Auseinandersetzung verbietet und sich stattdessen auf unverrückbare Wahrheiten oder «ewige» Lehrsätze beruft. Daher gilt die Kritik selbst aus Fachkreisen, wenn nicht als sanktionswürdig, dann zumindest als verrückt.
Zumindest geht für manche das lange Warten auf das Eintreffen einer anderen weisen Voraussicht von Aldous Huxley zu Ende. 1931 merkte der britische Schriftsteller an: «Die perfekte Diktatur wird den Anschein einer Demokratie machen, einem Gefängnis ohne Mauern…».