Die feigen Kinder-Prügler

Reda El Arbi
Reda El Arbi

Zürich,

Unser Kolumnist wurde als Kind geschlagen. Er verachtet Erwachsene, die Kindern nur mit Gewalt Grenzen setzen können.

Reda El Arbi
Gastautor bei Nau.ch: Reda El Arbi. - Nau.ch

Das Wichtigste in Kürze

  • Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi schreibt über Gewalt an Kindern.
  • El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
  • Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
  • Er lebt mit Frau und mehreren Hunden in Stein am Rhein SH.

Ich wurde als Kind von meiner (Schweizer) Mutter geschlagen. Manchmal, eher selten, schlug mich auch mein Vater. Eine Ohrfeige hier, eine Kopfnuss da, eine Tracht Prügel – in meiner Kindheit war das keine Seltenheit. Oft aus Überforderung, aber auch ganz klar, weil Gewalt an Kindern damals noch als Selbstverständlichkeit verstanden wurde. Der Teppichklopfer war ein Erziehungsinstrument, blutige Striemen eine Folge des Ungehorsams. Und ich war nicht der Einzige in der Klasse oder im Umfeld.

Es waren nicht nur die Eltern. Auch im katholischen Internat in Walterswil, das ich eine Weile besuchte, waren Schläge - bei groben «Vergehen» mit dem Ledergürtel – eine anerkannte Form der Bestrafung. Körperliche «Züchtigung» war ein Mittel der Pädagogik.

Inzwischen hat sich die Sache ein wenig geändert. Die meisten geistig gesunden Menschen halten Gewalt gegen Kinder für unverzeihlich. Das Recht auf Züchtigung wurde Ende der Siebziger aus dem Zivilgesetzbuch zwar entfernt, aber verboten wurde das Verprügeln von Kindern nie. Es ist immer noch straffrei, Kinder zu misshandeln, solange keine sichtbaren (!) Verletzungen und bleibende Schäden verursacht werden. Das muss man sich mal vorstellen. Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, in denen Erwachsene Kinder noch ungestraft schlagen dürfen. Jetzt ist ein Gesetz in Entstehung, das dies ändern soll.

Gegen das anstehende Verbot gegen Gewalt an Kindern regt sich aber Widerstand. Man kann es kaum glauben, aber es gibt noch immer erwachsene Menschen, die denken, man sollte Kinder straflos verprügeln dürfen. Andreas Glarner, der SVP-Hardliner, der sich als Hort Schweizer Werte sieht, setzt sich explizit für Gewalt gegen Kinder ein. Er meinte gegenüber den Medien, dass es in gewissen Situationen Gewalt brauche, um einem Kind Werte beizubringen.

Zitat aus dem Tagesanzeiger: «Er ist überzeugt, dass eine Körperstrafe nicht schade, wenn sie vom Kind als gerecht empfunden und verstanden werde, wenn das Kind einsehe, dass sie verdient sei.»

Als ob die Gewalt von einem Erwachsenen an einem Kind jemals «gerecht» sein könnte. Aber Glarner scheint sowieso gerne auf Kinder zu schiessen, oder auf Lehrpersonen, die sich liebevoll um Kinder kümmern. Aber das ist eine andere, bereits bekannte Geschichte, und zeigt nur, welche Gegner sich der Mann aussucht.

Seine Nationalratskollegin aus der SVP Obwalden versteht die körperliche Misshandlung von Kindern als «Privatsache», in die sich der Staat nicht einzumischen habe. Sie sieht das Problem sowieso eher bei den Ausländern, nicht bei den Schweizern. Offenbar ist ihr die Ironie nicht bewusst, dass es jetzt gerade die selbsternannten «Eidgenossen» sind, die sich für ungestrafte Gewalt an Kindern einsetzen. Dass diese Positionen aus der SVP heraus vertreten werden, ist nicht überraschend. Sie kämpften damals in den 90ern auch dafür, dass Vergewaltigung in der Ehe «Privatsache» bleiben soll.

Obwohl sich einige SVP-Vertreter gegen das Verprügeln von Kindern ausgesprochen haben, müssen sie damit leben, dass sie einer Partei dienen, deren prominente Vertreter im Nationalrat für Gewalt gegen Kinder eintreten. Und die Wähler müssen sich bewusst sein, dass sie diesen Leuten Macht geben.

In meinen Augen gibt es nichts Kaputteres, als wenn ein Erwachsener ein Kind schlägt. Es ist die ultimative Form von Übergriff und Machtmissbrauch. Ein Erwachsener, der einem Kind nur mit körperlicher Gewalt Grenzen aufzeigen kann, ist ein Versager, ein miserables Elternteil und eine armselige Persönlichkeit.

Man kann sich auch fragen, warum Leute wie Glarner Kinder schlagen wollen. Wenn solche Typen in einer Beiz sitzen und jemand sie ärgert, gehen sie auch nicht hin und verteilen Schläge. Warum nicht? Genau, weil diese Leute ja zurückschlagen könnten. Bei Kindern besteht da keine Gefahr. Leute, die Kinder schlagen, machen das, weil sie Feiglinge sind, weil Kinder schwächer sind. Überall sonst in ihrem Leben, wo es Konsequenzen hätte, verzichten sie wohlweislich auf Gewalt. Kinderprügler sind miese, kleine Despoten, die sich mit Gewalt gegen die Schwächsten ein Gefühl der Kontrolle geben.

Natürlich kann in Überforderungssituationen einmal «die Hand ausrutschen». Wenn das aber mehrmals passiert, ist es Zeit für den betroffenen Elternteil, sich Hilfe zu holen. Der Schaden, der durch Gewalt an einer Kinderpsyche angerichtet werden kann, ist immens. Und auch da würde ein Verbot helfen. Wenn jemand Kinder schlägt, und sei es auch aus persönlichem Unvermögen, kann er oder sie über das Gesetz dazu gezwungen werden, sich therapeutische Hilfe zu holen.

Man muss sich auch mal vor Augen führen, was die betroffenen Kinder daraus für Lehren ziehen:
- Gewalt ist eine Lösung
- Gewalt ist eine Form der Liebe
- Der Stärkere ist im Recht
- Lieber den Mund halten, als eine zu kassieren

Das Problem sind aber nicht die überforderten Eltern. Das Problem sind die zurückgebliebenen Barbaren, die noch immer denken, es sei völlig in Ordnung, ein kleines, wehrloses Wesen zu verprügeln. In meinen Augen ist es im Kern die gleiche psychische Verfassung, die auch Tierquäler und andere Sadisten mit sich herumtragen. Anders kann ich mir das nicht erklären.

Für mich, mit meiner Erfahrung als ehemals geschlagenes Kind, mit meiner Erinnerung an blutige Striemen und ausgerissene Haare, ist es klar: Wenn ich im Alltag jemanden sehe, der Kinder schlägt, seien es Eltern oder Lehrpersonen, müssen sie sich mit mir auseinandersetzen. Weil ich inzwischen gross genug bin, um zurückzuschlagen.

Und meist sind die Kinderprügler dann ganz leise. Zu feige, um auf Augenhöhe zu interagieren.

Zum Autor: Reda El Arbi ist 51-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und mehreren Hunden in Stein am Rhein SH.

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