«In Schweizer Schulen herrscht leistungshemmender Wettbewerb»
Unter den Schweizer Schulen herrscht keinerlei Wettbewerb, unter den Schülerinnen und Schülern hingegen schon – ein untragbarer Zustand. Ein Gastbeitrag.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Unterricht in der Schweiz ist nicht mehr zeitgemäss.
- Schulkinder messen sich nicht mit sich selbst, sondern mit ihren Mitschülern.
- Separation und andere Massnahmen führen bloss zu Stigmatisierung und nützen kaum.
- Dies sagt Pädagogin und Buchautorin Clarita Kunz in ihrem Gastbeitrag.
Junge Reben werden vor Kälte, Hitze und heftigen Stürmen geschützt. Nicht so die Schulkinder: Weil alle zur gleichen Zeit dasselbe lernen müssen, herrscht in den Klassenzimmern in Deutsch und Mathematik ein unnatürlicher, leistungshemmender Wettbewerb.
Einen solchen Wettbewerb gibt es nicht einmal in der Privatwirtschaft!
Remo Largo, der am 11. November 80 Jahre alt geworden wäre, hatte schon vor den Folgen dieses pädagogisch abträglichen Unterrichtssettings gewarnt. Vergeblich? Nicht, wenn wir es angehen und dafür sorgen, dass sich Lernende mit ihren früheren Leistungen messen können statt immer nur mit den Leistungen der anderen!
In Bezug auf den Lernstand – der Unterschied beträgt laut Largos gross angelegter Studie in einer Klasse bis zu zwei Jahre! – rief er einmal entrüstet aus: «Die können doch nicht alle dasselbe lernen!»
Die falsch verstandene Gleichmacherei scheitert auch aus einem anderen Grund: Mit dem frontalen Unterrichten in den genannten Fächern geht eine Bevormundung einher, gegen die sich immer mehr Schüler und Eltern zu Recht zur Wehr setzen, denn wenn nicht nur der Lernstoff, sondern auch das Lerntempo vorgegeben wird, können Kinder und Jugendliche nicht lernen, Verantwortung zu übernehmen.
Unselbstständige Jugendliche, darüber beklagen sich auch Lehrmeister und Gymi-Lehrpersonen! Massnahmen wie Separation von langsam Lernenden, Lernzielanpassungen, Nachteilsausgleich und die frühe Selektion können die Probleme nicht aufheben, tragen nicht dazu bei, dass die Lernziele erreicht werden. Dafür stigmatisieren sie völlig unnötig!
Wettbewerb unter Schülerinnen und Schülern – kein Wettbewerb unter Schulen
Und: Sie sind reine Augenwischerei, die Jugendlichen einen Bärendienst erweisen. Dessen werden sie sich spätestens dann bewusst, wenn sie sich für eine Berufslehre bewerben oder eine Prüfung für eine weiterführende Schule absolvieren wollen.
Im Gegensatz zu den Schülerinnen und Schülern herrscht unter den Schulen keinerlei Wettbewerb!
Staatliche Schulen haben alle genügend Schulkinder, denn diese werden ihnen per Schulsprengel, sprich: mit Zwang zugeteilt, egal ob sie einen guten Ruf haben oder nicht.
Nur finanziell privilegierte Eltern können der Zuteilung ausweichen und eine private Schule wählen, die den Bedürfnissen ihrer Kinder besser entspricht.
Zur Autorin: Clarita Kunz ist Pädagogin und Autorin («Schule als Leistungsbremse»). Ausserdem ist sie Inhaberin des Montessori Kindergartens Feldmeilen.