Martin Jucker: Droht ohne Pestizide wirklich eine Hungersnot?

Martin Jucker
Martin Jucker

Wetzikon,

«Wir sehen aktuell ein Artensterben, das an Schnelligkeit kaum mehr zu überbieten ist», schreibt Martin Jucker in seiner Kolumne. Was tun?

Martin Jucker
Martin Jucker von der bekannten «Jucker Farm» in Seegräben ZH. - zvg

Das Wichtigste in Kürze

  • Martin Jucker ist gelernter Obstbauer und betreibt die «Jucker Farm» in Seegräben ZH.
  • Auf Nau.ch schreibt Jucker eine monatliche Kolumne.

Pestizide und Kunstdünger haben massgeblich zu einer stabilen Ernährung der Menschheit beigetragen. Das grosse Bevölkerungswachstum konnte durch ihren Verdienst und durch die Züchtung von ertragreichen Sorten von der globalen Landwirtschaft abgefangen werden.

Die meisten Hungersnöte der letzten 50 Jahre sind menschengemacht. Es ist genug Essen da, um alle zu ernähren. Das Problem liegt in der Verteilung.

Gemüse, Einkaufstüte, Frau
Es sei genug Essen da, die Verteilung sei das Problem. - Depositphotos

Aber die vermeintlichen Wundermittel haben Nebenwirkungen. Viele Nebenwirkungen. Und diese werden je länger, je sichtbarer.

Die direkten negativen Auswirkungen lassen sich schnell erkennen: Ein Mittel zur Schädlingsbekämpfung kann auch Nützlinge töten. Ein Mittel zur Unkrautbekämpfung kann auch die Kulturpflanzen selbst schädigen.

Kombination vieler unterschiedlicher Faktoren

Um einiges komplexer wird es, wenn Probleme eine Vielzahl von Ursachen haben. Wir sehen aktuell ein Artensterben, das an Dramatik und Schnelligkeit kaum mehr zu überbieten ist.

Pestizide und Kunstdünger tragen eine Mitschuld. Aber es gibt nicht DIE eine klare Ursache, die sich beheben lässt. Stattdessen führt die Kombination vieler unterschiedlicher Faktoren dazu, dass sich das Problem immer weiter verstärkt.

Entsprechend schwierig ist es, diese Vielzahl an Ursachen anzugehen und die entsprechenden Verantwortlichen in die Pflicht zu nehmen.

Der grosse Verlierer ist die Menschheit

Jede Interessenvertretung hat die Möglichkeit, auf die anderen zu zeigen und Zweifel an der eigenen Verantwortung zu säen.

Gerade weil der Dunstkreis der Verantwortlichkeiten so gross ist, wird – insbesondere auf politischer Ebene – wenig bis gar nichts geändert. Ganz nach dem Motto: «Sollen doch zuerst die anderen zeigen, dass sie etwas ändern.»

Setzt du dich aktiv für unsere Umwelt ein?

Das Paradoxe an der Situation ist, dass dabei ein grosser Verlierer zurückbleibt: die Menschheit! Denn: Machen wir so weiter wie bisher, schaufeln wir uns langsam, aber sicher unser eigenes Grab.

Der Lösungsansatz

Was ist mein Ansatz als Bauer? Pestizidfrei zurück ins Mittelalter zur Hungersnot und Mangelernährung? Definitiv nicht.

Martin Jucker
Martin Jucker auf seiner Jucker Farm in Seegräben ZH. - zvg

Wir können uns aber Inspiration von früheren Praktiken holen. Für mich heisst der Lösungsansatz «regenerative Landwirtschaft». Sie nutzt traditionelle landwirtschaftliche Praktiken und kombiniert sie mit moderner Wissenschaft und Technologie.

Neue Produktionsmethode etablieren

Denn wir müssen und werden es schaffen, eine neue Produktionsmethode zu etablieren, die keine Pestizide und keinen Kunstdünger braucht. Unsere Vorfahren konnten das auch, wie es Agrarjournalist Jürg Vollmer im Contryside Newsletter schön beschreibt. Wieso soll das nicht mehr gehen?

Die Biodiversität ist ein hochkomplexes Zusammenspiel verschiedenster Arten von Lebewesen. Vom Bakterium bis zum Elefanten sind alle beteiligt. Die regenerative Landwirtschaft trägt dem Rechnung.

Weniger Krankheiten dank Artenvielfalt

Ist die Artenvielfalt gross genug, stellt sich ein Gleichgewicht ein, welches verhindert, dass sich eine Art übermässig vermehrt. Auch Krankheiten können sich so nicht epidemisch ausbreiten.

Ein Grossteil der Arten lebt im Boden. Auch wenn die nette Honigbiene auf der blühenden Magerwiese meist als Symbol für die Biodiversität herhält, müssen wir zuerst ganz unten ansetzen: beim Zusammenspiel des Mikrobioms (Gesamtheit aller Mikro-Organismen) im Boden mit den Pflanzen, die ihre Wurzeln darin haben.

Alles, was wir in der regenerativen Landwirtschaft machen, dient am Anfang der Förderung des Bodenlebens und dem Wiederaufbau des Mikrobioms.

Jeder Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln schädigt das Bodenleben. Ob diese Pflanzenschutzmittel aus der konventionellen oder biologischen Landwirtschaft sind, ist weitgehend unbedeutend. Wenn sie wirken, haben sie auch Nebenwirkungen.

Blumen und Topf
Dünger hilft Pflanzen beim Wachstum, kann aber auch schädlich sein. - Pixabay

Wir versuchen also, die abbauenden Prozesse, die wir in den letzten 80 bis 100 Jahren gepflegt haben, umzukehren in aufbauende Prozesse. Wir arbeiten mit der Natur, nicht gegen sie.

Wieso machen das nicht alle?

Es ist in der Theorie so klar und logisch. In der Praxis ist die Zusammenarbeit mit der Natur aber auch den Naturgesetzen ausgeliefert.

Die Natur kennt die Grundprinzipien von fressen und gefressen werden – und der Stärkere gewinnt. Nicht unbedingt die Werte, die wir als Gesellschaft pflegen.

Zudem müssen wir Kontrolle durch Vertrauen ersetzen. In unserem Wirtschaftssystem ein No-Go.

Regenerative Landwirtschaft bedeutet; grosse Investitionen über eine lange Zeit zu leisten, ohne wirklich zu wissen, ob sie sich auszahlen werden. Wir tun es trotzdem.

Ich persönlich bin überzeugt, dass wir es uns nicht leisten können, nichts zu verändern. Es ist jetzt Zeit, zu handeln. Und es ist jetzt Zeit, die Zukunft der Menschheit in die Hand zu nehmen.

Alle sind gefragt

Schön und gut, aber wo soll man als verantwortungsvoller Mensch und Nicht-Bauer oder -Bäuerin jetzt ansetzen? Die Lösung beginnt bei jedem und jeder Einzelnen.

Tun wir nichts, erleiden wir den gleichen Schiffbruch wie die Politik. Wie wärs etwa mit einer Blumenwiese statt Rasen im Garten?

bienen ständerat massnahmen
Bienen sind wichtig für die Nahrungssicherheit der Schweiz. - Unsplash

Wie wäre es, wenn du dich bei deinem Einkauf für Produkte aus regenerativer Landwirtschaft entscheidest? Wie wärs, wenn du ein Bienenhotel bei dir aufstellen würdest?

Ein Bienenhotel im Garten. Wäre das was für dich?

Ich freue mich ausserordentlich: Wenn du mitmachst und wir jetzt zusammen beginnen, unsere Zukunft in die Hand zu nehmen.

Zur Person: Martin Jucker ist gelernter Obstbauer und hat sich mit der «Jucker Farm» in Seegräben ZH über die Landesgrenzen hinweg einen Namen gemacht. Er steht für innovative, nachhaltige und unabhängige Landwirtschaft. 2014 wurde er zusammen mit seinem Bruder Beat, als bisher einziger Bauer, zum Schweizer Unternehmer des Jahres gewählt.

Kommentare

User #2139 (nicht angemeldet)

Laut NAQUA/BAFU überschreitet die Konzentration von Abbauprodukten von Pestiziden (Metaboliten) im Grundwasser den Grenzwert an jeder dritten Messstelle der Schweiz.

User #1969 (nicht angemeldet)

Die Brunnenvergifter dürfen immer noch ihre Pestizide in das Trinwasser bringen nur um ihren Profit zu maximieren. Wie lange noch?

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