Opfer von sexueller Gewalt erzählt vom «Danach»
Wer von sexueller Gewalt betroffen ist und diese anzeigt, muss einen langen und traumatischen Prozess durchleben. Eine betroffene Person gibt Einblick.
Das Wichtigste in Kürze
- Die «Betroffenengruppe» macht sich für eine Revision des Sexualstrafrechts stark.
- Ein Mitglied der Gruppe hat sexuelle Gewalt erlebt und angezeigt.
- In diesem Gastbeitrag erzählt die Person, wie sie das «Danach» erlebt hat.
«Danach».
Eine – wie ich feststellen musste – lange Bezeichnung nach einem Geschehnis, das so nicht hätte stattfinden dürfen! Die Tat an sich riss ein riesiges Loch in meinen bis anhin seelisch guten Zustand.
Zu diesem Zeitpunkt rechnete ich noch fest damit, dass die Beamten sich für mich einsetzen und Hilfestellung leisten würden. Ich war voller Zuversicht und Hoffnung.
Schon bald den Rand der Kräfte erreicht
Die Tatsache ein Erlebnis akzeptieren zu müssen, welches mich den Rest meines Lebens begleiten wird, war niederschmetternd, genauso wie die ersten Kontakte mit der Polizei.
Das Verhör bestand aus einer Aneinanderreihung unsinniger, perfider, noch mehr traumatisierenden Fragen und ich fühlte mich in keinerlei Hinsicht ernst genommen.
Welche gefühlskalten Menschen sind fähig, das offensichtliche Opfer noch mehr in eine Spirale von Angst, Demütigung und Verzweiflung zu treiben?
Ich durfte leider einige davon kennenlernen in meiner ganzen Prozesszeit. Je mehr Termine ich hatte bei der Polizei oder bei der Staatsanwaltschaft, wurde ich mehr und mehr an den Rand meiner Kräfte getrieben.
Schockiert über solche Charaktere in hohen Positionen und veralteten Gesetzen, schwand meine Hoffnung auf einen fairen Prozess.
Offensichtliche Beweise und Fakten wurden als «Indiz» deklariert.
Wunden wurden zu «versehentlich selbst herbeigeführten Verletzungen».
Nachrichten des Täters zu «selbst gefälschte Texte».
Tränen wurden zu «gutem Schauspiel».
Wut zu «Geständnissen des Lügens».
Opfer zu «Täter».
In welcher Welt leben wir, in der ein Nein zu Sex keine Bedeutung vor Gericht hat?
In welcher Welt wird das Opfer zu perfiden Fragen und Antworten gedrängt, um einen bequemen Prozessverlauf zu schaffen?
Vorgefertigtes Vergewaltigungs-Schema
Während dem Verhör verglich der Polizist meine Aussagen mit jenen eines vorgegebenen Schemas, anhand dessen ein sexueller Übergriff verifiziert werden soll.
Zu dieser Erkenntnis kam ich erst Jahre später bei unzähligen Gesprächen mit Psychologen. Nach diesem neuen Wissen fragte ich mich nur noch: Warum werden, bereits am Boden liegende Opfer mit «Vergewaltigungsdurschnitts- Theorien» vorverurteilt?
Es war mir damals nicht bewusst, dass eine verallgemeinerte Vorgabe für sexuelle Übergriffe existiert. Man erklärte mir, es gäbe nur eine Hand voll zutreffende Stellungen, die auf eine Vergewaltigung zutreffen. Selbst das Kamasutra enthält mehr als 100 Stellungen!
Gesetze, Freund und Helfer, faire Prozesse, freie Meinungsäusserungen - seit meinem Prozess für mich bedeutungslose Wörter und Konstrukte die nur dazu da sind, den Schein zu wahren es werde dein Opfern geholfen.
Selbst meine Anwältin meinte während des Prozesses, dass die Chancen trotz vieler Beweise nahezu aussichtslos wären.
Das obengenannte klingt alles sehr negativ und zornig, jedoch beschreibt es leider genau die damaligen Ereignisse, Emotionen und Gedanken.
«Warum haben Sie nicht lauter geschrien?»
«Warum haben Sie sich nicht stärker gewehrt?»
«Warum hatten Sie im Sommer so kurze Kleidung an?»
«Warum bemerkten Sie die bösen Absichten nicht?»
«Warum wissen Sie die genaue Dauer der Vergewaltigung nicht?»
«Warum wissen Sie nicht mehr jeden Handgriff der gemacht wurde zur Tatzeit?»
«Warum haben Sie es so weit kommen lassen?»
In den Augen des Staates waren selbst meine möglichst präzisen Antworten wertlos. Ich hätte mich immer noch «mehr wehren können in allen Bereichen», hiess es.
Eine meiner Antworten: «Ich war wie erstarrt» und konnte mich deshalb nicht mehr fortbewegen, war für die Polizei das Unglaubwürdigste.
Täter von jeglicher Schuld freigesprochen
Mein Vertrauen an einen fairen Prozess wurde über 5 Jahre strapaziert und in die Länge gezogen.
Schlussendlich wurde der Täter von jeglicher Schuld vor Gericht freigesprochen.
Mein Gefühl sagte es mir schon länger. Etwas Gutes hatte das Urteil jedoch an dem Tag für mich: Das Karussell angetrieben von veralteten Gesetzen und traumatisierenden Erlebnissen kam endlich zum Stillstand.
Es war vorbei! Nicht mit dem anfangs erhofften Erfolg, aber das war mir am Schluss leider auch ziemlich «gleichgültig» geworden.
Nicht weil sich an meinem Standpunkt gegenüber dem Täter oder der Tat etwas verändert hatte oder dergleichen, nein ich war einfach froh dass der Prozess ein Ende fand. Denn das «Danach» war schlimmer als ich es mir je hätte vorstellen können. Danke für Nichts und die darauffolgende, noch härtere Zeit.
«Richtet eure Augen auf dieses Thema»
Es muss sich schleunigst etwas ändern in unserer Gesetzgebung was sexuelle Übergriffe angeht!
Wenn es so bleibt, ist es in meinen Augen ein offizielles Statement aller Verantwortlichen der Gesetzgebung, dass es für sie in Ordnung geht wenn Menschen die gedemütigt, belästigt oder Vergewaltigt werden keine Chance auf einen fairen Prozess erhalten.
Dass Opfer automatisch als Täter zu verhören – für mich unmenschlich! Von unausgebildeten Polizisten zu solch einem heiklen Thema befragt oder verhört zu werden – für mich verantwortungslos!
Richtet eure Augen auf dieses Thema. Es ist unangenehm aber leider Alltag! Setzt euren Verstand und euer Herz ein um die richtigen Hebel in Gang zu setzen, damit keine Frau und kein Mann nach solch einem Erlebnis noch mehr in den Boden gestampft wird als ohnehin schon. Helft uns dabei, den Glauben an den Staat nicht zu verlieren!
Der Kampf, mit sich selbst nach so einem Trauma wieder ins Reine zu kommen, ist gross genug, es bleibt kaum noch Kraft einen Zweiten gleichzeitig zu führen.
Nun ist eine lange Zeit verstrichen seit der Tat die mir widerfahren ist. Mein Leben konnte sich mit viel Kraft und harter Arbeit an mir selbst wieder in eine positive Richtung wenden.
Im Rückblick auf den Weg den ich mit meiner Anzeige gegangen bin, war das ganze Prozedere eine riesige Enttäuschung. Einerseits gibt es mir ein gutes Gefühl das Richtige getan zu haben, andererseits wünsche ich mir oft niemals zur Polizei gegangen zu sein – wegen dem «Danach».