Pro Juventute: Multikrise belastet Jugendliche
Kinder und Jugendliche sind psychisch stark belastet, schreibt Katja Schönenberger, Direktorin von Pro Juventute, im Gastbeitrag.
Das Wichtigste in Kürze
- Die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz ist stark erhöht.
- Pro Juventute, die grösste Fachorganisation für Kinder und Jugendliche, will Massnahmen.
Es ist ein seltenes Bild. Doch gleich zwei Mal bot es sich in den letzten sechs Monaten. Sämtliche Jungparteien von links und rechts tun sich mit Pro Juventute zusammen, um auf die erhöhte psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen aufmerksam zu machen.
Einmal in Bern vor dem Bundeshaus. Und erst kürzlich vor dem Luzerner Regierungsgebäude. Die Junge Mitte Zürich reichte derweil im März ihre Initiative «Gesunde Jugend jetzt» ein, welche eine bessere Gesundheitsversorgung und Prävention für psychisch belastete Kinder und Jugendliche fordert.
Auch wenn sich die Jungparteien nicht in allem einig sind, so zeigt ihr Engagement deutlich, dass sie etwas erkannt haben: Wir sind in einer Notsituation, wenn es um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen geht. Und mit dieser Erkenntnis sind sie der Schweizer Politik ein gutes Stück voraus.
Beispielsloser Anstieg von psychischer Belastung
Die Zahlen unseres Beratungsangebots 147 von Pro Juventute zeigen dies eindrücklich. 161 Mal haben wir im Jahr 2022 eine Krisenintervention ausgelöst. Das heisst, wir mussten 161 Mal die Polizei oder Rettungskräfte informieren, damit ein Leben eines jungen Menschen gerettet werden kann. Im Jahr 2019 waren es noch 57 Kriseninterventionen. Jeden Tag ist unser Beratungsteam vom 147 mit sieben oder acht Jugendlichen wegen Suizidgedanken in Kontakt. Das sind mehr als doppelt so viele im Vergleich von vor zwei Jahren.
Die Befunde von Pro Juventute werden von anderen Fachstellen bestätigt. So wachsen die Gesundheitskosten junger Frauen doppelt so schnell wie jene der übrigen Bevölkerung, was vor allem mit den stark steigenden Ausgaben für psychologische und psychotherapeutische Betreuung zusammenhängt. Dies gab kürzlich der Krankenkassenverband Santésuisse bekannt. Und das Bundesamt für Statistik meldete im Dezember 2022 einen beispiellosen Anstieg von 26 Prozent der Hospitalisierung von jungen Frauen aufgrund psychischer Probleme im Zeitraum 2020 – 2021.
Worauf sind diese Entwicklungen zurückzuführen? Zuerst die Corona-Pandemie, dann der Ukraine-Krieg, Klimakrise und drohende weitere Krisen. Diese Krisen treffen Kinder und Jugendliche in einer vulnerablen Lebensphase, in der verschiedene Veränderungen stattfinden.
Sie finden zeitgleich statt und treffen auf eine Überlastung der Versorgungskette. Die Wartezeiten für einen Therapieplatz haben sich stark erhöht. Im Vergleich zu früher ist zudem die aktuelle Multikrise aufgrund der sozialen Medien omnipräsent.
Es braucht die Kantone und den Bund
Für Pro Juventute ist klar, dass es politische Antworten und Investitionen in die Versorgungskette für Kinder und Jugendliche braucht. Niederschwellige Anlaufstellen wie das 147 von Pro Juventute sollen gestärkt werden und deren Bekanntheit bei den Kindern und Jugendlichen erhöht werden.
Die nachgelagerten Angebote wie die Kinder- und Jugendpsychiatrien müssen gestärkt und weiterentwickelt werden. Längerfristig braucht es Präventionsmassnahmen. Die Resilienz von Kindern und Jugendlichen stärken wir mit Angeboten in der frühen Förderung, dem Erlernen aktiver Stressbewältigung und nicht zuletzt auch durch die Förderung der Medienkompetenz im digitalen Zeitalter.
In Luzern trug der Einsatz von Pro Juventute und den Jungparteien erste Früchte. An der Märzsession beauftragte der Luzerner Kantonsrat die Luzerner Regierung, Massnahmen zur Stärkung von niederschwelligen Erstanlaufstellen wie dem 147 zu prüfen. Die Regierung hatte ein entsprechendes Postulat noch abgelehnt.
Die Arbeit geht weiter. Gemeinsam mit unseren Partnern Public Health Schweiz, UNICEF Schweiz und Liechtenstein, SAJV, ciao.ch und viele mehr veranstalten wir im Mai 2023 eine Fachtagung zur Zunahme psychischer Probleme bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Pro Juventute ist überzeugt: Eine Investition in die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist eine Investition in die Zukunft, die Gesellschaft und nicht zuletzt auch in die Wirtschaft. Dafür setzen wir uns ein.
Zur Autorin: Katja Schönenberger ist Direktorin von Pro Juventute. Sie lebt mit ihrem Partner und einer Bonustochter in Zürich.