SP-Grossrat über Grundrechte nicht-menschlicher Primaten
Der Advokat und SP-Grossrat (Basel-Stadt) Dr. Christian von Wartburg erklärt im Gastbeitrag, warum auch nicht-menschlichen Primaten Grundrechte zustehen.
Das Wichtigste in Kürze
- In Basel wird bald über die Grundrechte für nicht-menschliche Primaten abgestimmt.
- Advokat Dr. Christian von Wartburg (SP) setzt sich dabei für ein Ja ein.
- Es gebe aus rechtlicher Sicht keine Argumente gegen die Gewährleistung dieser Rechte.
Die Frage, die die Stimmbürger:innen in Basel am 13. Februar 2022 beantworten müssen, ist einfach: Sollen in Basel künftig auch nicht-menschliche Primaten gegenüber dem Staat ein Recht auf Leben und auf körperliche und geistige Unversehrtheit haben, oder nicht?
Dass über diese Frage überhaupt in Basel abgestimmt werden darf, entschied sich erst vor dem Bundesgericht. Dieses anerkannte, dass Kantone auch nicht-menschlichen Tieren Grundrechte garantieren können. Die Gewährleistung solcher Rechte erscheine, so das Bundesgericht, zwar «ungewohnt», würde aber nicht übergeordnetem Recht widersprechen.
Der Entscheid ebnete den Weg für die weltweit erste Volksabstimmung zur Frage, ob auch nicht-menschliche Primaten in den Genuss der Grundrechte auf Leben und körperliche und geistige Unversehrtheit kommen können.
Historisch schien die Antwort lange Zeit klar zu sein: Menschen zeichnen sich durch einzigartige kognitive Eigenschaften aus und sind – auch deshalb – Träger von Rechten. Tiere wurden im Gegensatz dazu als nicht oder nicht im gleichen Sinne vernunftbegabte Wesen betrachtet. Sie stehen eine Hierarchiestufe unter uns. Tieren gebührt zwar Schutz, Rechte aber haben sie keine.
Verhältnis zum Tier überdenken
Nun wissen wir aber seit Charles Darwin, dass wir – gleich wie die Tiere – auch nur ein Teil der Natur sind. Forschung und Wissenschaft haben Schritt für Schritt aufgezeigt, dass auch nicht-menschliche Primaten vernunftbegabt sind und wie wir nach rationalen Prinzipien denken und entscheiden. Sie können die Konsequenzen ihres Handelns antizipieren, sie können sowohl in die Vergangenheit blicken wie auch in die Zukunft denken.
Sie haben ein ausgeprägtes Sozialverhalten und leben wie wir in gut organisierten, gesellschaftlichen Strukturen und Kulturen, kennen Solidarität und Rollenverteilung. Dies bringt uns, so meine ich, unweigerlich zum Punkt, an welchem wir unser Verhältnis zu Tieren überdenken und prüfen müssen, ob wir den Kreis der Moral nicht über die Menschen hinaus erweitern müssen.
Nicht-menschliche Primaten empfinden wie wir Schmerz, Empathie und Unrecht, und wehren sich übrigens lautstark dagegen. Sehr interessant ist das diesbezügliche Experiment mit Kapuzineraffen: Solange zwei Affen zur Belohnung für dieselbe Arbeit beide ein Stück Gurke erhalten, kooperieren sie mit den Experimentator:innen. Kriegt der eine Kapuzineraffe jedoch zur Belohnung Trauben, der andere nur Gurken, wird nicht nur protestiert, sondern auch jede Mitarbeit verweigert und getobt.
Rechte statt Schutz ist unbestritten ein Weg, der Neuland beschreitet. Wir ändern die Vorzeichen. Die Primaten-Initiative käme bei ihrer Annahme einem Paradigmenwechsel gleich, indem sie erstmals in Europa Grundrechte auch nicht-menschlichen Tieren zugänglich machen würde. Zumindest die nicht-menschlichen Primaten wären somit nicht mehr vollständig dem Nutzungsmodell unterworfen, das es uns immer noch erlaubt, ihre fundamentalste Interessen zu beschneiden, wenn triviale menschliche Interessen dies fordern.
Keine Beschneidung bestehender Rechte mehr
Es gibt dabei aus rechtlicher Sicht keine überzeugenden Argumente gegen die Gewährleistung dieser eingeschränkten Grundrechte. Umgekehrt fördert gerade unsere menschliche Vernunft und Moralvorstellung, dass wir unser Gesellschafts- und Rechtssystem anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse immer wieder überdenken. Echte Menschlichkeit schliesst den Miteinbezug nicht-menschlicher Primaten in den Kreis von Rechtsträger:innen bei eingeschränkten Rechten also keineswegs aus. Vielmehr erfordert sie geradezu, dass wir dieses Neuland betreten!
Wenn wir die Anerkennung der Würde der Kreatur ernst nehmen, dann müssen wir auch überlegen, welchen Inhalt diese hat und was sie rechtlich bedeutet. Einen Ansatz für den Inhalt dieser Würde formuliert die Harvard-Philosophin Christine Koorsgard in ihrem Buch «Tiere wie wir». Sie sagt: «Was uns auszeichnet ist die Empathie, die uns zu der Einsicht befähigt, dass andere Geschöpfe sich selbst in derselben Weise etwas bedeuten, in der wir uns etwas bedeuten».
Wenn wir nun nicht-menschliche Primaten in den Kreis denjeniger Lebewesen aufnehmen, die ein Recht auf Leben haben, anerkennen wir, dass sie sich selbst etwas bedeuten und dass ihr Schicksal einen Wert hat. Und wir beschneiden keine bestehenden Rechte. Wir öffnen lediglich den Kreis der Grundrechtsträger:innen bei zwei spezifischen Rechten. Damit verwässern wir Grundrechte keineswegs. Im Gegenteil: wir stärken sie.