Thiel, die Covidioten und die Juden-Vergleiche

Reda El Arbi
Reda El Arbi

Zürich,

Unser Kolumnist denkt, dass Leute, die die heutige Schweiz mit dem Deutschland der 1930er Jahre vergleichen, widerliche Zyniker sind.

Reda El Arbi
Gastautor bei Nau.ch: Reda El Arbi. - Nau.ch

Das Wichtigste in Kürze

  • Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi erklärt die linksgrünversiffte Welt.
  • Reda El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
  • Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
  • Er lebt mit Frau und zwei Hunden in Stein am Rhein SH.

Der ehemalige Satiriker und heutige rechte Politaktivist Andreas Thiel denkt, dass Coronaleugner, Klimaskeptiker, Hassprediger und Verschwörungstheoretiker heute in der Schweiz gleicher Unterdrückung ausgesetzt sind, wie Juden und Nazi-Gegner in den 1930er Jahren.

Er ist nicht der einzige, der solche Aussagen macht. Auch Alex Baur, Weltwoche-Journalist und ausgewiesener Bolsonaro-Fan, ist sich nicht zu schade, die heutige Situation in der Schweiz mit der Zeit, in der die Nazis den Holocaust vorbereiteten, zu vergleichen.

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Thiel mit dem Vergleich zu 1930 - Interview Tagesanzeiger 18.9.2020

Wäre es nicht so huere grusig, so krankhaft zynisch, so zutiefst obszön, könnte man darüber lachen, dass Thiel dies in einer Ankündigung seiner Teilnahme an einer Corona-Demo in einem Interview der bösen MAINSTREAM-Presse machte. Wir erinnern uns: das sind die Demos, die von Nazis und Rechtsextremen begleitet werden, die Demos, an denen zutiefst antisemitische Qanon-Anhänger mitlaufen. Mitorganisiert von einem schweizweit bekannten Schwulenhasser.

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Andreas Thiel an einer Corona-Demo in Zürich im September 2020. - Keystone

An der Demo gestern schaffte es der unfreiwillige Komiker dann auch noch, einige Tausend Opfer der Staatssicherheit der DDR abzuwerten, indem er die Schweizer Corona-Massnahmen mit Stasi-Methoden verglich. Naja, wenigstens durfte er endlich, endlich wieder mal vor einem begeisterten Publikum auftreten – dafür kann man schon mal die Schweiz mit der DDR vergleichen. Hauptsache die Leute mögen es, und er verwirrt damit nicht mal die Rechtsextremen, die sich ja eigentlich die 1930er zurückwünschen. Komplexe neue Welt ...

Beim Beispiel Baur ist das Paradox auch ziemlich offensichtlich, da er regelmässig für den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro schwärmt, der seine Nähe zum Faschismus und seine Bewunderung für Diktaturen und Faschisten selbst immer wieder äussert. Schaut man sich die Herzen unter Baurs unzähligen Tweets an, sieht man, dass er immer wieder von Leuten geliked wird, die sich selbst klar und stolz zu rechtsextremen Positionen bekennen.

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Baur mit dem Vergleich zu 1930 - Twitter

Auf persönlicher Ebene ist diese narzisstische Verblendung, in der sich einzelne Demonstranten mit Sophie Scholl (die von den Nazis hingerichtet wurde) vergleichen, und Personen des öffentlichen Lebens in eine Art Geltungsrausch der Midlife-Crisis begeben, ja nachvollziehbar. Je grösser man den Gegner macht, umso heldenhafter der eigene (eingebildete) Freiheitskampf. Baur, Thiel und Konsorten müssen ihren politischen Gegner überhöhen, um die eigene Bedeutung, die eigene Rebellion – naja, das eigene Ego – aufzublasen.

Die ganzen Nazi-Stasi-Schweiz-Vergleiche gehen jedoch weit über die persönliche, narzisstische Ebene hinaus. Fehlende Empathie, Geschichtsklitterung und Realitätsverlust spielen da sicher mit. Aber wer die heutige Schweiz mit dem Europa der 1930er Jahre vergleicht, spuckt auf die Gräber der Opfer der Shoah, verachtet die Überlebenden der Gaskammern und der Schlachtfelder. Wer die heutige Schweiz mit dieser Zeit vergleicht, erniedrigt die Menschen, die damals für Demokratie und Freiheit gestorben sind.

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Andreas Thiel an der Demonstration in Zürich. - Keystone

Dann ist da auch noch die Verachtung, die genau die Leute, die sich gerne «Patrioten» nennen, unserem Land gegenüber an den Tag legen. Diese Patrioten scheinen unser Land zutiefst zu hassen und zu verachten. Diese Beschmutzung all unserer Werte, diese perfide Abwertung unserer direkten Demokratie, können wir nicht einfach so unwidersprochen hinnehmen.

Wer an der Seite von Rechtsextremen marschiert oder Faschisten huldigt und die Schweiz gleichzeitig als Diktatur verschreit, ist kein Demokrat. Er ist entweder blind, oder aber er manipuliert absichtlich die Menschen in Richtung Faschismus.

Als anständige SchweizerInnen, als überzeugte DemokratInnen können wir nicht schweigen, wenn verblendete oder bösartige Demagogen und Brandstifter unser Land, unsere Werte und unsere Demokratie dermassen durch den Dreck ziehen.

Genug ist genug.

Zum Autor: Reda El Arbi ist 50-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und Hund in Stein am Rhein SH.

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