Weggefährte: Wie Luzi Stamm «ausgeschafft» wird
Der erschütternde Fall von Luzi Stamm zeigt wie sich die Schweizerische Demokratie von selbst aushöhlt. Ein Kommentar des Publizisten Radu Golban.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall Luzi Stamm beschäftigt die Schweiz.
- Sein langjähriger Freund Dr. Radu-Eugen Golban meldet sich hier zu Wort.
Demokratie kann so direkt sein, dass man nach drei Jahrzehnten unermüdlichen Einsatzes für sein Land direkt zum Nervenarzt geschickt wird. Demokratie kann so unmittelbar sein, dass man als Politiker für seine mutigen, patriotischen und unbeugsamen Ansichten unmittelbar die Repressionen eines Systems zu spüren bekommt.
Der Fall Luzi Stamm wirft Fragen auf
Der Umgang mit Herrn Luzi Stamm wirft einige Fragen auf, welche man in einer Demokratie noch stellen dürfen sollte. Gerade in einem Land, welches auch bedauerlicherweise als Spitzenreiter in Europa im Bespitzeln, Belauschen und Zwangseinweisungen ist, wo vermutlich mehr Psychologen, Psychiater und Staatswächter als gewählte Politiker über die Freiheit bestimmen, ist diese Frage mehr als angebracht.
Gibt es ungeschriebene Gesetze auf Parteiebene, wie man sich jemandem entledigt, dessen politischen Überzeugungen der Politnomenklatur nicht mehr passt? Vermutlich keine Handvoll Nationalräte tritt so aktiv auf, ohne sich zum Bückling in der Partei zu machen, um ihr Wort dem Volk gegenüber zu halten, wie Luzi Stamm.
Hugo Loetschers «Der Waschküchenschlüssel» bringt es auf den Punkt: «Wir benutzen die Waschküche wie unsere Demokratie – nicht so sehr als Boden für Freiheiten, dafür umso lieber als Fundament für eine Hausordnung». Diese nüchterne, mit Gleichmut gemachte Aussage verweist auch auf den Unterschied zwischen dem Politikstil eines Freidenkers und der Unterwürfigkeit von Parteibeamten auf. Umgekehrt betrachtet gilt demnach auch, dass die propagierte Demokratie mit ihrem ausufernden Überbau als Hausordnung kaum Platz für Eigeninitiative hat und eher einem verschnörkelten Ausführungsorgan einer Staatsraison gewichen ist.
Von helvetischer Zurückhaltung keine Spur
Die Quintessenz dieser helvetischen Machtformel besteht in der Vermittlung eines Eindrucks an grösstmöglicher Freiheit, bei gleichzeitiger Sanktionierung manch eines Abweichlers. Gingen die messerscharfen Beobachtungen, des geschulten Juristen und Ökonomen, mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Politik, zur Übernahme fremden Rechts und dem bilateralen Weg mit der EU zu weit? Womit hat er das Establishment gestört, dass er über Nacht zur persona non grata geworden ist?
Von totalitären Regimen ist es seit jeher bekannt, dass sie sich, nachdem die Hexenaustreibung der modernen Psychiatrie gewichen ist, einer Diagnose bedienen um Genossen, welche den Rubikon überschritten haben, aus dem Weg zu räumen. Im vorliegenden Fall scheint es völlig nebensächlich zu sein, ob Herr Stamm aus medizinischer Sicht verwirrt ist oder ihn nur der Undank der Partei verwirrt.
Das angeblich einvernehmliche Fernbleiben von der Parlamentssession auf Geheiss der Partei und die ethikferne Berichterstattung scheinen den üblichen Rahmen im Umgang selbst im Falle einer Krankheit deutlich zu sprengen. Von helvetischer Zurückhaltung keine Spur. Immerhin verdankt er sein Mandat dem Wähler und nicht der Partei. Wie demokratiefeindlich kann denn eine Partei sein, wenn sie einem Nationalrat den Weg zu seiner Arbeit verhindern will?
Eine auf Ausdruck von Zivilcourage gerichtete, wenn auch nicht allzu reif überlegte «CHF 40 für Kokain Aktion», um auf den laschen Umgang mit Drogen aufmerksam zu machen, wird dazu genutzt alle Register gegen Stamm zu ziehen. Vermutlich wäre ihm auch der bekannte Konsum von Frischobst im Bundeshaus zum Verhängnis geworden, wenn er nicht erkannt hätte, dass es an der Zeit sei sich von der Politik zu verabschieden.
Was ist eigentlich diese SVP?
Ich hatte meinen Freund Luzi Stamm schon vor längerer Zeit gefragt, was eigentlich diese SVP sei, weil sie in meinen Augen wie ein Subunternehmen eines greisen Milliardärs geführt werden würde, der die Schweiz mehr in die EU durch abstruse Initiativen gepusht habe, als die Linken. Die Frage lag auf der Hand, ob die von einer grauen Eminenz domminierten Partei eher eine andere Agenda verfolgen könne, als jenes welches es an der Urne gelobe.
Dank meiner Kindheit in einem autoritären System, im kommunistischen Rumänien, habe ich einen anderen Bezug zum Totalitarismus als gebürtige Eidgenossen. Aus meiner Sicht wäre es durchaus denkbar, dass der harte Kern der SVP ein EU-treues Instrument sei, darin versiert den Eidgenossen im Herzen eine politische Spielwiese zu vermitteln und dabei die EU-Kritik zu kontrollieren, ohne dem unausweichlichen Gebot der EU-Integration effizient zu widerstehen. Nicht weiter verwerflich.
Das hätten kleine und mittlere Staaten gemeinsam, dass bedeutende Machtpositionen an jene vergeben werden, welche ihr Land verwalten und den fremden Willen doch noch auferlegen, ohne dabei mit den Wimpern zu zucken. Ob man es Realpolitik nennt, oder nur Staatsraison, wie sich eine unausweichliche politische Gangrichtung selbst über die Stimmen ihrer Gegner freut, ist die hohe Kunst der Politik.
Verwaltungsdiktatur vernichtet die Freiheit stärker als eine radikale Partei
Gerade eifrige Verfechter der Freiheit und Demokratie in diesem Land sollten sich fragen, ob diese totalitäre und repressive Seite des Systems noch dem Volkswillen entspricht. Das auferlegte Erscheinungsbild geprägt vom Loblied auf die Freiheit und Selbstbestimmung, könnte längst einer modernen Verwaltungsdiktatur gewichen sein. Leider kann sich Demokratie auch von selbst auflösen. Hans Kelsen stellte vor knapp hundert Jahren dazu die Frage, ob man eine Demokratie auch gegen sich selbst schützen könnte.
Aus heutiger Sicht spielt es keine Rolle, ob demokratiefeindliche Parteien oder eine in jeden Staat innewohnende repressive und totalitäre Seite diese Staatsform zu Grabe tragen. Eine bevormundende Verwaltungsdiktatur kann vermutlich weit mehr den demokratischen Geist ersticken, als manch eine radikale Partei. Daher verwundert mich der Ansatz der SVP und manch Pressestimmen, Luzi Stamm vor sich selbst zu schützen, überhaupt nicht.
Gegen ein Franz Kafkas «Der Prozess» reloaded wäre nichts einzuwenden, würde man nur nicht den Eindruck bekommen, dass es weit mehr als nur ein Roman ist. Für Stamm eine bittere Realität. Was beide Protagonisten, K und Stamm, vereint, ist eine als willkürliche empfundene Autorität, die beide zur Rechenschaft zieht. Keiner der beiden weiss recht warum.
Wenn kritische Zeitgeister wie Dürrenmatt, Frisch, Loetscher u.a. vom Fetisch fürs Fichieren erfasst wurden, dann sieht es so aus, dass an der Monopolstellung des Staates bei der Interpretation von Demokratie und Freiheit nicht zu rütteln ist. Luzi Stamms Gesinnung für eine freie Eidgenossenschaft, im Gegensatz zu einer Verwaltungsgenossenschaft wurde ihm zum Verhängnis.
Ich freue mich Luzi Stamm bald wieder zusehen und ihn zu fragen, ob er nicht wirklich verwirrt war, nahezu dreissig Jahre an einer Utopie zu glauben.
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Radu Golban (45) ist gebürtiger Rumäne. Zu Luzi Stamm verbindet ihn eine «langjährige Freundschaft», wie er sagt. Golban ist überwiegend in seiner früheren Heimat Rumänien publizistisch tätig. Er publizierte auch in den Schweizer Monatsheften, der NZZ oder der Jerusalem Post.