Bankenexperte empört über Unwissen von Credit-Suisse-Thiam
Die Credit Suisse nahm am Montag ein zweites Mal Stellung zum Beschattungs-Skandal. Bankenexperte Peter V. Kunz kritisiert das Unwissen der Firmen-Spitze.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Credit Suisse hat einen weiteren Bericht zur Beschattungs-Affäre publiziert.
- Bankenexperte Kunz kritisiert das angebliche Nichtwissen der Banken-Spitze.
Die Credit Suisse hat am Montagmorgen die zweite Stellungnahme zur Beschattungs-Affäre publiziert. Sie bestätigt die Beschattung des damaligen Personalchefs Peter Goerkes und entlässt COO Pierre-Olivier Bouée fristlos. Gemäss Communiqué wusste weder CEO Tidjane Thiam, noch der Verwaltungsrat etwas von den Überwachungen.
Nau.ch hat bei Bankenexperte Peter V. Kunz nachgefragt. Kunz ist Direktor am Institut für Wirtschaftsrecht der Universität Bern.
Nau.ch: Herr Kunz, die Credit Suisse betont in ihrer Mitteilung, dass CEO Thiam und der Verwaltungsrat nichts von der Beschattung gewusst haben. Dazu gibt es Zweifel. Überrascht Sie das?
Peter V. Kunz: Ich kann nachvollziehen, wenn viele Leute diese CS-Aussage nicht glauben. Nicht zuletzt deshalb, weil die CS bereits beim letzten Mal, also bei der Beschattung von Herrn Kahn, nicht korrekte Antworten nach einer ersten «Untersuchung» durch ihre eigenen Anwälte gegeben hat.
Nau.ch: Aber ist es Ihres Erachtens möglich, dass die Chefetage von den Spionageaktivitäten tatsächlich nichts wusste?
Kunz: Es ist an sich durchaus möglich und nicht unwahrscheinlich, dass Herr Thiam tatsächlich nichts gewusst hat. Dies erscheint mir aber fast noch schlimmer als ein Mitwissen, geht es doch um die Überwachung von Spitzenmanagern und nicht von Personen im mittleren Management. Ein CEO muss so organisiert sein, dass er weiss, was auf der Spitzenebene im «eigenen Haus» passiert.
Nau.ch: Und der fristlos entlassene Pierre-Olivier Bouée? Ist der Ex-COO hier das Bauernopfer?
Kunz: Von einem Bauernopfer kann nicht gesprochen werden, handelt es sich doch operativ immerhin um die frühere Nummer 2 der CS, also um den Chief Operating Officer. Sollte er tatsächlich bei der internen Untersuchung betreffend Herrn Iqbal Kahn vor einigen Wochen gegenüber den CS-Anwälten bewusst gelogen haben, so war diese fristlose Kündigung vom Wochenende unvermeidlich.
Insofern handelt es sich um eine juristisch korrekte Reaktion der CS gegenüber dem ehemaligen Spitzenmanager und nicht um eine bloss symbolische Handlung.
Nau.ch: Bouée hatte bereits im Herbst seinen Rücktritt angekündigt. Nun wird ihm doch noch fristlos gekündigt. Warum?
Kunz: Die fristlose Kündigung führt rechtlich dazu, dass Herr Bouée per sofort keine Lohnfortzahlungen mehr für die Zukunft erhält, was aber – anders als in einigen Medien geschrieben – nicht bedeutet, dass allfällige Bonusansprüche von ihm automatisch dahinfallen. Ich gehe davon aus, wie dies in der Praxis üblich ist, dass die CS und ihr ehemaliger COO in Bezug auf diese Boni einen vertraulichen aussergerichtlichen Vergleich schliessen werden, weil keine Seite an einer öffentlichen Auseinandersetzung vor Gericht interessiert sein kann.
Nau.ch: Was denken Sie, wie geht die Affäre für CEO Thiam aus?
Kunz: Für Herrn Thiam hängt alles davon ab, ob weitere Informationen bekannt werden sollten, die im Widerspruch zu den jüngsten Aussagen der CS stehen – eine dritte «Beschattungsaffäre» wäre ein Super-Gau, die vermutlich zu einer Abberufung von Herrn Thiam durch den VR führen würde. Basierend auf den aktuellen Informationen gehe ich heute allerdings davon aus, dass die unerfreuliche Thematik in personeller Hinsicht erledigt sein sollte.
Nau.ch: VR-Präsident Rohner spricht von einem Einzelfall. Kann man davon ausgehen oder ist Spionage gängige Praxis in der Bankenwelt?
Kunz: Ich denke nicht, dass solche «Beschattungen» üblich sind, aber sie können und dürfen durchaus vorkommen. Seit Wochen schon weise ich denn auch darauf hin, dass eine Überwachung als solche – gerade auch gegenüber dem Spitzenmanagement – nicht illegal ist, sofern nicht gewisse «rote Linien», etwa Drohungen, Nötigungen oder Hausfriedensbruch, überschritten werden.
Nau.ch: Also wäre eine solche Überwachung legitim?
Kunz: Es kann durchaus gute Gründe für Überwachungen geben, wenn etwa ein Fehlverhalten mit möglichen Auswirkungen auf die Arbeit befürchtet werden. Indem die CS dies jedoch von Anfang an klar verneint hat, hat sie sich selber ein wenig in die Ecke manövriert, denn sie hat für sich einen höheren Standard als das Gesetz in Anspruch genommen. Daran muss sie sich nun selbstverständlich messen lassen.