Braucht die Schweiz ein Gesetz gegen Food Waste?
Food Waste ist eines der grössten Nachhaltigkeitsprobleme überhaupt. Unsere Nachbarländer spenden ihre überflüssigen Lebensmittel an Bedürftige. Und wir?
Das Wichtigste in Kürze
- In der Schweiz werden jährlich 2,8 Mio. Tonnen Lebensmittelabfälle produziert.
- Ein Teil davon sind noch geniessbare Esswaren, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist.
Die Lebensmittelverschwendung in der Schweiz belastet unsere Öko-Bilanz schwer. Laut Angaben des Bundesamts für Umwelt entspricht die Umweltbelastung von Food Waste etwa 50 Prozent derjenigen des motorisierten Individualverkehrs jährlich.
Nachbarländer der Schweiz haben bereits Gesetze verabschiedet, um gegen Lebensmittelverschwendung von Supermärkten vorzugehen. Ob dies für die Schweiz auch sinnvoll wäre, steht zur Debatte.
Mit Spenden gegen Abfälle
Spenden von noch essbaren Lebensmitteln an Hilfsorganisationen sind in Frankreich und Italien für Grossverteiler zum Teil obligatorisch. Bei unserem Nachbar im Westen sind Supermärkte ab 400 Quadratmeter gesetzlich dazu verpflichtet, eine Partnerschaft mit Organisationen einzugehen.
Die Organisationen wiederum spenden die noch geniessbaren Lebensmittel an Bedürftige. Tun sie das nicht, droht ihnen eine Geldstrafe von bis zu 75'000 Euro.
Mit dieser Reglementierung erntete unser Nachbarland Applaus. Die Europäische Union sucht nämlich seit rund acht Jahren nach Lösungen, um nachhaltiger mit Lebensmitteln umzugehen. Doch die in diesem Bereich aktive Organisation «Schweizer Tafel» hält das für keine gute Idee – zumindest hierzulande.
Supermärkte wollen sogar mehr Lebensmittel spenden
«In der Schweiz muss niemand hungern», sagt Michele Hostettler von der Schweizer Tafel gegenüber Nau.ch. Wer Essen suche, der finde das auch, so der Basler Regionalleiter weiter.
80 Prozent der Lebensmittel, welche die Schweizer Tafel an ihre Abnehmer verteile, stammten von Grossverteilern. Täglich würden 36 Lieferwagen der Hilfsorganisation morgens leer losfahren und abends wieder leer zurückkommen.
Supermärkte wie Coop und Migros würden gerne noch mehr Spenden, so Stefan Möckli, Geschäftsleiter der Schweizer Tafel. Und die Schweizer Tafel würde gerne noch mehr Lebensmittel-Spenden entgegennehmen. Doch das sei schlichtweg unmöglich. Möckli präzisiert, die Schweizer Tafel als vollständig durch Spenden finanzierte Stiftung habe nur Mittel für einen schrittweisen Ausbau.
Zu wenig Armut
Konkret sind sich Hostettler und Möckli einig: Ein Gesetz wie in Italien und Frankreich würde in der Schweiz wenig bis nichts bewirken. «Wir Schweizer legen viel Wert auf Eigenverantwortung. Wir wollen möglichst wenig regulieren», sagt Möckli.
In der Schweiz gebe es zudem viel weniger Armut als in Frankreich oder Italien, fügt Möckli hinzu. Zwar habe die Schweiz viel sogenannte «versteckte Armut» – vor allem ältere Menschen. Da sei es die Aufgabe der Hilfswerke, den Zugang dieser Personen zu Mahlzeiten zu erleichtern.
Schweizer Gesetz ist im Weg
Unser heutiges Lebensmittelgesetz bekämpft das Food Waste Problem jedoch auch nicht wirklich. «Wir haben eines der strengsten Lebensmittelgesetze der Welt», erklärt Hostettler.
Migros-Sprecher Tristan Cerf teilt auf Anfrage mit: «Wir machen kein Statement zum Schweizer Gesetz, wir verfolgen es einfach.» Die Doppeldatierung, also das System mit dem Verkaufs- und Haltbarkeitsdatum, sei aber «extrem effizient», so Cerf. Durch dieses könne man Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen spenden, deren Verkaufsdatum überschritten sei.
Nicht so in EU-Mitgliedstaaten: Mittlerweile kann man laut EU-Gesetzgebung auch Lebensmittel preiswerter verkaufen und spenden, deren Mindesthaltbarkeitsdatum theoretisch schon abgelaufen sind. Sie müssen nur entsprechend gekennzeichnet werden. Da könnte sich die Schweiz etwas vom EU-Gesetz abschauen, meint Hostettler der Schweizer Tafel. Denn so könne man noch mehr Lebensmittel retten.