Erster Strafprozess um dubiose Cum-Ex-Aktiendeals in Bonn begonnen
Vor dem Landgericht Bonn hat am Mittwoch der erste Strafprozess im Zusammenhang mit sogenannten Cum-Ex-Geschäften begonnen.
Das Wichtigste in Kürze
- Zwei ehemalige britische Aktienhändler angeklagt.
Angeklagt sind zwei ehemalige britische Aktienhändler, die sich wegen Steuerhinterziehung in 33 tatsächlichen sowie in einem versuchten Fall verantworten müssen. Sie sollen sich laut Gericht von 2006 bis 2011 illegal die Rückzahlung von Kapitalertragsteuern gesichert und damit rund 400 Millionen Euro Schaden verursacht haben. (Az. 62 KLs 1/19)
Die jung gebliebenen Männer sassen in schicken Anzügen auf der Anklagebank - wirkten jedoch am Mittwoch nicht wie Banker, sondern schauten eher trotzig in den gut gefüllten Gerichtssaal. Zum Prozessauftakt verlas die Kölner Staatsanwaltschaft die rund 50 Seiten lange Anklage gegen die beiden Ex-Banker. Sie sollen von Mitte 2006 bis zum Frühjahr 2011 «in Bonn und andernorts» für Komplizen unrechtmässig die Rückzahlung von Kapitalertragsteuern erwirkt haben.
Der 41-jährige Nordire Martin S. und der 38-jährige Engländer Nicholas D. hätten zuerst bei der Hypovereinsbank und später mit der von S. gegründeten Ballance-Gesellschaft die deutschen Finanzbehörden bewusst getäuscht, lautete der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Sie hätten einen «lediglich scheinbar profitorientierten Handel» mit Aktien betrieben, dessen eigentlicher Zweck das betrügerische Erlangen von Steuergeldern gewesen sei. Dieser Zweck sei den Angeklagten «während des gesamten Zeitraums» bekannt gewesen.
Vor der Verhandlung sagte Martin S. in rund 30 Vernehmungen aus, auch zu anderen Fällen. Er werde sich auch im Verlauf des Prozesses «umfassend» äussern, sagte seine Verteidigerin am Mittwoch. Er bestreite seine Rolle nicht, müsse sie aber in den richtigen Kontext rücken. S. sei «mit der Erste, aber nicht der Einzige ? und auch nicht die zentrale Figur von Cum-Ex».
Die beiden Briten sind indes die ersten Cum-Ex-Händler, die sich in Deutschland strafrechtlich verantworten müssen. Vermeintliche Komplizen werden laut Staatsanwaltschaft «gesondert verfolgt». Die nach Überzeugung des Gerichts «sehr komplizierte Materie» mache die Aufklärung langwierig.
Bei Cum-Ex-Geschäften verschieben Banken, Fonds und Investoren rund um den Dividenden-Stichtag Aktien und lassen sich so eine einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach vom Fiskus erstatten. Die Bundesregierung schob der Methode 2012 einen gesetzlichen Riegel vor.
Nach Angaben eines Sprechers des Bundesfinanzministeriums verzeichneten die zuständigen Finanzbehörden bisher insgesamt 499 Verdachtsfälle mit einem Volumen von 5,5 Milliarden Euro. 2,4 Milliarden Euro Steuergeld seien erfolgreich zurückgeholt worden.
Grünen-Fraktionsvize Anja Hajduk erklärte zu dem Prozessbeginn, wer Steuern raube, müsse sich «strafrechtlich verantworten, alles andere ist eine massive Ungerechtigkeit gegenüber den deutschen Steuerzahlern». Die Bundesregierung müsse sich ein Beispiel an der Justiz nehmen - bislang agiere sie ambitionslos bei der Aufdeckung des Steuerskandals. Auch Fabio De Masi, Vize-Fraktionschef der Linken, betonte die Verantwortung der Politik, «da verschiedene Finanzminister die Cum-Ex-Abzocke zehn Jahre laufen liessen».
Neben den beiden Hauptangeklagten waren am Mittwoch auch Rechtsvertreter der Banken und Kapitalgesellschaften Warburg Invest, Hansainvest, BNY Mellon und Société Générale als «Einzugsbeteiligte» anwesend. Das Gericht will im Laufe der Verhandlung klären, inwieweit diese Unternehmen im Rahmen der umstrittenen Geschäfte Vorteile erzielten. Laut Anklage waren auch Hedgefonds und weitere Banken wie BNP Paribas an den Deals beteiligt.
Auch eine Vertreterin des Bundeszentralamts für Steuern nahm an der Seite der Staatsanwaltschaft Platz. Nach Angaben des Gerichts hatten nur zwei von fünf Finanzbehörden auf eine entsprechende Anfrage reagiert. In Bonn sind bislang 32 Prozesstermine bis Anfang 2020 angesetzt. Der nächste Verhandlungstag ist der 18. September.