Schweizer Konsumenten taugen nicht zum Öko-Vorbild
Bioprodukte boomen, E-Autos ebenfalls. Umweltbewusstsein hat sich bei Schweizer Konsumenten etabliert. Doch das Bild täuscht. Eine Analyse.
Das Wichtigste in Kürze
- Coop und Migros haben 2020 den Umsatz mit Bioprodukten deutlich gesteigert.
- Fast jeder zehnte Neuwagen fährt mit Strom.
- Die Umweltbelastung der Schweizer Konsumenten stagniert aber seit Jahren.
Die Zeichen stehen auf Grün. Coop hat letztes Jahr mit nachhaltigen Produkten 5,4 Milliarden Franken umgesetzt. Das sind über 700 Millionen mehr als im Vorjahr.
Auch die Konkurrenz grünt. Der Bio-Umsatz kletterte bei der Migros letztes Jahr um 15 Prozent nach oben. Der orange Riese verkauft darum neu ein umfassendes Demeter-Sortiment – ein besonders strenges Bio-Label. Man wolle damit den gestiegenen Ansprüchen der Konsumenten gerecht werden, heisst es.
Der Nachhaltigkeit-Trend macht selbst vor der Autobranche keinen Halt. Letztes Jahr wurden in der Schweiz fast 20'000 E-Autos neu zugelassen – ein Plus von fast 50 Prozent. Obwohl wegen der Corona-Krise die Autoverkäufe massiv eingebrochen sind.
Ökologischer Fussabdruck bleibt gleich
Damian Oettli vom WWF erklärt: «Wo Unternehmen oder der Staat psychologische oder regulatorische Anreize setzen, verändert sich das Konsumverhalten in eine positive Richtung.» Bioprodukte werden aktiv beworben und prominent platziert, E-Auto profitieren in vielen Kantonen von Steuervorteilen.
Ist die Schweiz also auf dem Weg zum Öko-Vorbild? Zahlen des Bundes relativieren das Bild schnell. Der ökologische Fussabdruck der Schweizer Konsumenten stagniert seit Jahren auf einem ähnlich hohen Niveau. Und liegt deutlich über dem EU-Schnitt.
Weder der Bio-Trend noch die Entwicklung zu sparsameren oder E-Motoren beim Auto haben dies geändert. Kommt dazu: Konventionelle Landwirtschaftsprodukte und Verbrennungsmotoren sind nach wie vor deutlich populärer als das Öko-Pendant.
WWF: Konsumniveau nimmt zu
Die Beobachtung macht auch der WWF. «Leider nimmt das generelle Konsumniveau zu», sagt Damian Oettli. Dieses sei sowieso jetzt schon zu hoch. Neben der ungesättigten Konsumlust der Schweizer fallen dem Umweltschützer besonders der hohe Fleischkonsum und die Flugreisen negativ auf.
Gewiss, während der Pandemie waren Flüge ins Ausland kein Thema. Gut möglich, dass der Trend bald wieder anzieht und wieder das vorherige Niveau erreicht. Gemäss den Airlines dürfte dies spätestens in drei Jahren der Fall sein.
Zwischen 2004 und 2018 hat sich die Zahl der Flugpassagiere verdoppelt. Die CO2-Emissionen von Auslandsflügen haben gemäss dem Bundesamt für Zivilluftfahrt während dieser Zeit um über 60 Prozent zugelegt.
Doppelt so viel Fleisch wie empfohlen
Und der Fleischkonsum? Der stagniert seit Jahren auf hohem Niveau, trotz immer mehr Fleischersatzprodukten in den Supermärkten. Pro Kopf essen Schweizer im Jahr rund 50 Kilo Fleisch. Mehr als doppelt so viel, wie der Bund aus gesundheitlichen Gründen empfiehlt.
Welchen Einfluss Fleischkonsum auf die Umwelt hat, zeigt der letzte Umweltbericht des Bundes. Kein Konsumbereich hat so starke Auswirkungen auf das Klima wie die Ernährung. Und dort wiederum macht die Fleisch-Produktion den grössten Anteil aus.
Zum Öko-Vorbild taugt die Schweiz auch nicht, weil sie in manchen Bereichen klar anderen Ländern hinterherhinkt. In Norwegen lag der Anteil E-Autos letztes Jahr bei 54 Prozent der Neuzulassungen, in der Schweiz bei 8,2 Prozent.
Auch beim Plastikrecycling sind andere besser. Pro Kopf verursacht jeder Schweizer jährlich über 100 Kilo Plastikabfall. Das ist mehr als dreimal so viel wie der europäische Durchschnitt.
Gemäss dem Branchenverband rezykliert die Schweiz allerdings nur 25 Prozent der Kunststoffabfälle. In Schweden sind es 40 Prozent, auch Deutschland, Irland und Spanien liegen klar vor uns.
Das E-Auto und der Bio-Boom sollten nicht von der Realität ablenken. Wirklich umweltfreundlich ist unser Lebensstil nicht. Nachhaltig konsumieren heisse zuallererst einmal weniger konsumieren, sagt Oettli. «Und da haben wir noch viel Luft nach oben.»