Pro Natura Aargau: Gewässer-Initiative hilft fragilen Feuchtgebieten

Thierry Ehrsam
Thierry Ehrsam

Aarau,

Aargauer Umweltverbände sehen Handlungsbedarf beim Feuchtgebietsbestand. Pro Natura Aargau schätzt ein und gewährt Einblicke in die Gewässer-Initiative.

Matthias Betsche GLP
Matthias Betsche, Grossrat der GLP und Geschäftsführer von Pro Natura Aargau. - zVg

Das Wichtigste in Kürze

  • Politik und Umweltverbände verbünden sich und reichen die Gewässer-Initiative ein.
  • Bestehende Feuchtgebiete sollen erweitert werden: 1000 Hektar seien dafür benötigt.
  • Laut Pro Natura Aargau profitieren davon Mensch und Natur gleichermassen.

Die Feuchtgebiete im Kanton Aargau sind gefährdet. Der Bestand dieser wichtigen Ökosysteme hat sich im letzten Jahrhundert nämlich drastisch reduziert. Es wurde deshalb die Gewässer-Initiative eingereicht. Dadurch würden rund 1000 Hektar (ha) neue Feuchtgebiete entstehen.

Gefährdete Tierarten dürften sich darüber freuen, aber auch die Bevölkerung, teilt das Komitee mit. Auch dem Klimawandel könne so entgegengewirkt werden, da Bäche, Auen und Moore kühlend wirken.

Laubfrosch
Der Laubfrosch gilt durch die Trockenlegung von Niedermooren und Gewässern, sowie der Begradigung von Bächen und Flüssen, als besonders gefährdet. - keystone

Kritisiert wird, dass rund 500 ha der geplanten Fläche in Kulturland, also Ackerland entstehen sollen. Laut dem Bauernverband Aargau werden damit Existenzen von Bauernbetrieben und die Ernährungssicherheit auf Spiel gesetzt. Dieser hat sich Nau.ch gegenüber bereits zur Initiative geäussert.

«85 Prozent der verbliebenen Uferzonen und Feuchtgebiete gelten als gefährdet»

Matthias Betsche (GLP) ist Teil des Initiativ-Komitees und Geschäftsführer von Pro Natura Aargau. Für ihn ist jetzt der Zeitpunkt, um der Situation entgegenzuwirken und für mehr Feuchtgebiete zu sorgen. Im Interview mit Nau.ch erläutert er, weshalb der «Wasserkanton» diese Initiative braucht.

Nau.ch: Wieso braucht der Kanton Aargau einen stärkeren Gewässerschutz?

Matthias Betsche: Durch Flusskorrekturen und Entsumpfungsprojekte verschwanden seit 1850 schweizweit rund 90 Prozent der Feuchtgebiete. So auch im Kanton Aargau. Analog zum Lebensraumschwund brachen auch die Bestände typischer Feuchtgebiets-Arten ein.

85 Prozent der verbliebenen Uferzonen und Feuchtgebiete gelten heute als gefährdet. Diese sind oft zu klein, räumlich häufig isoliert und fragmentiert und reichen nicht aus, um Populationen aller Arten halten zu können. In vielen natürlichen Feuchtgebieten herrscht reger Freizeitbetrieb, was das Brutgeschäft empfindlicher Arten beeinträchtigt.

Die letzten verbliebenen Feuchtgebiete sind fragile Ökosysteme. Die auf Feuchtgebiete angewiesenen Tiere wie Frösche, Fische, Libellen und Vögel sind überdurchschnittlich gefährdet. Zur Sicherung und Stärkung der Feuchtgebiete im ganzen Wasserkanton Aargau besteht daher Handlungsbedarf.

Nau.ch: In welchen Gebieten sind die 1000 Hektaren Feuchtgebiete geplant?

Matthias Betsche: Feuchtäcker, Bruchwälder, Waldmoore, Bachufer, Feuchtwiesen, Feucht- und Nassstellen. Sie alle sind unersetzbare Wasser-Lebensräume für einheimische Tiere und Pflanzen in Wald und Flur.

Zum einen können 500 Hektaren feuchte Lebensräume im Wald aufgebaut werden. Zum anderen sollen die Eigenverantwortung und Initiative der Landwirtschaft mit dauerhaften Anreizen so gestärkt werden, dass das Ziel von weiteren 500 Hektaren feuchten Lebensräumen im Kulturland erreicht werden kann.

Landwirte, die auf freiwilliger Basis in einem neuen «Labiola» Förderprogramm für neue feuchte Lebensräume mitmachen, sollen für ihre gemeinwirtschaftlichen Leistungen unterstützt werden. Mit der Gewässer-Initiative helfen wir so, nachhaltige Produktionssysteme zu unterstützen, die zur erforderlichen Biodiversität im Kanton Aargau beitragen.

Stimmen Sie den Forderungen der «Gewässer-Initiative» zu?

Nau.ch: Können Bauernbetriebe nötigenfalls gezwungen werden, Ackerböden für Feuchtgebiete abzugeben?

Matthias Betsche: Nein, die Anliegen zur Sicherung und Stärkung der Feuchtgebiete sollen in Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft erreicht werden. Landwirte, die auf freiwilliger Basis in einem neuen «Labiola» Förderprogramm für neue feuchte Lebensräume mitmachen, sollen für ihre gemeinwirtschaftlichen Leistungen unterstützt werden.

Es ist zu wünschen, dass die Wertschätzung für diese von den Landwirtinnen und Landwirten erbrachten Biodiversitätsleistungen steigt. Das gegenwärtige «Labiola»-Programm im Aargau schafft die Grundlagen für den Schulterschluss von Nahrungsmittelproduktion und Biodiversität.

Aus «entweder, oder» wird «sowohl, als auch» – zum Nutzen der Landwirtschaftsbetriebe und der Natur. Mit einer Weiterentwicklung von «Labiola» für Feuchtgebiete können wir den weiteren Aufbau solcher wertvollen, feuchten Lebensräume gezielt fördern.

Nau.ch: Der Bauernverband spricht davon, dass aufgrund der Einschränkung, schlussendlich Importe aus dem Ausland drohen. Schlimmstenfalls komme es zur Trockenlegung bestehender Moore und der Abholzung des Regenwaldes. Wie ordnen Sie diese Aussage ein?

Matthias Betsche: Bezüglich Ernährungssicherheit liegen die Probleme woanders: Rund 60 Prozent der Ackerflächen werden heute schweizweit für den Anbau von Tierfutter verwendet. Wir benötigen heute also einen grossen Teil der Landwirtschaftsflächen für die übermässige Fleischproduktion, die wir für unsere Ernährung in diesem Ausmass gar nicht brauchen.

Schweine im Stall
Fleischproduktion sorgt für hohen Futterbedarf der Tiere. - keystone

Daher ist die gegenwärtige, auf Fleischproduktion fokussierte Nutzung der Landwirtschaftsflächen das Thema. Diese Fleischproduktion verursacht auch grosse Futtermittel-Importabhängigkeiten vom Ausland.

Grosses Potenzial besteht zudem in der Vermeidung von Food-Waste. In der Schweiz fallen 2,8 Millionen Tonnen Food-Waste pro Jahr an. Der Landverbrauch für den Anbau der weggeworfenen Lebensmittel entspricht der Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Flächen der Schweiz.

Nau.ch: Sehen Sie alternative Möglichkeiten, die genannte Ziele Ihrer Initiative – Hochwasserschutz, Minderung der Folgen des Klimawandels, Vielfalt der Natur – zu erreichen?

Matthias Betsche: Gemäss Regierungsrat des Kantons Aargau, reicht der heute verbliebene Rest an Feuchtgebieten im Kanton Aargau nicht aus, um die Biodiversität dieser Lebensräume langfristig zu erhalten und um die benötigten Ökosystemleistungen in genügender Qualität und Quantität bereitzustellen. Es besteht Handlungsbedarf. Es braucht zusätzliche Feuchtgebiete.

Gemäss dem vom Volk angenommenen Klimaschutzgesetz haben Bund und Kantone zudem dafür zu sorgen, dass in der Schweiz die notwendigen Massnahmen zur Anpassung an, und zum Schutz vor den nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels ergriffen werden. Die Stärkung der Feuchtgebiete ist genau eine solche Massnahme im Sinne des neuen Klimaschutzgesetzes.

Klimaschutz-Gesetz Glättli Nordmann
Das Klimaschutz-Gesetz wurde am 18. Juni 2023 vom Volk angenommen - Nau.ch

Mit dem Klimawandel nimmt die Trockenheit zu. Die Wiederherstellung von Feuchtgebieten stärkt den Rückhalt von Wasser in unserer Landschaft und ist eine günstige Alternative zur kostspieligen Sanierung von bestehenden Drainagen, die unsere Böden trockenlegen.

Stärken wir die Feuchtgebiete, profitieren Mensch und Natur.

Zur Person

Matthias Betsche (52) ist Grossrat der GLP Aargau und Geschäftsführer von Pro Natura Aargau. Er ist von Beruf Anwalt und wohnt mit seiner Familie in Möriken. In seiner Freizeit ist er gerne in der Natur unterwegs, beim Wandern, Velofahren – oder mit der Kamera beim Fotografieren.

Kommentare

User #1758 (nicht angemeldet)

Die Mei wird auch nicht umgesetzt und wäre ein Auftrag vom Volk. Ob seine Berechnungen stimmen?

User #3439 (nicht angemeldet)

Tamara ist Expertin in diesen Fragen

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