Corina Liebi (GLP): Wie Bern tausende Rechnungen nicht bezahlte
Kürzlich wurde bekannt, dass die Stadt Bern mit IT-Problemen zu kämpfen hat. Dies führte unter anderem dazu, dass zahlreiche Rechnungen nicht bezahlt wurden.
Das Wichtigste in Kürze
- Vor elf Jahren entschied die Stadt Bern, eine eigene Fallführungssoftware zu entwickeln.
- Nach verspäteter Implementierung diesen Sommer gab es weiterhin erhebliche Probleme.
- Anstatt «das Rad neu zu erfinden», sollte die Stadt lieber auf Standardlösungen setzen.
- Dies sagt die Berner Stadträtin Corina Liebi von den Grünliberalen in ihrem Gastbeitrag.
Die Stadt Bern und ihre IT-Projekte sind so eine Sache. Die Stadt steckt sich hohe Ziele, strebt nach «Leuchtturm-Projekten» und möchte Pionierarbeit leisten. Jedoch fehlt es ihr sowohl am nötigen Fachwissen als auch an den finanziellen Ressourcen, um derart umfangreiche Projekte erfolgreich abzuwickeln. Nach dem Misserfolg des «Base4Kids»-Projekts, bei dem die Stadt Bern selbst entwickelte IT-Lösungen für Berner Schulen zum Einsatz bringen wollte, steht sie nun vor einem weiteren IT-Debakel: «Citysoftnet», der neuen Fallführungssoftware für den Sozialbereich.
Projekt zusammen mit Zürich und Basel vor elf Jahren lanciert
Vor rund elf Jahren entschied sich die Stadt Bern, aufgrund «mangelnder Alternativen» auf dem Markt, in Partnerschaft mit Zürich und Basel-Stadt eine eigene IT-Lösung zur Fallführung im Sozialbereich zu entwickeln. Im Jahr 2018 wurde dafür ein Kredit in Höhe von 14,9 Millionen Schweizer Franken durchs Stimmvolk genehmigt.
Das Projekt besteht aus einer Kernlösung, die für alle drei Städte identisch ist, sowie drei individuelle «Städtelösungen» mit spezifischen Anpassungen für jede Projektpartnerin. Ursprünglich sollte die Software bis Ende 2022 in allen drei Partnerstädten eingeführt worden sein.
Zeitplan wurde nicht eingehalten – Probleme gab es trotzdem
Doch wie es oft bei städtischen IT-Projekten der Fall ist, wurde dieser Zeitplan nicht eingehalten. Im Jahr 2022 bewilligte der Stadtrat deshalb einen Nachkredit von 2,54 Millionen Schweizer Franken, um das Projekt bis im Sommer 2023 erfolgreich zu implementieren.
Doch dann kam die Ernüchterung. Was folgte waren massive IT-Probleme bei den beiden betroffenen Dienststellen. Dies waren einerseits das bei der Direktion für Bildung, Soziales und Sport (BSS) angegliederte Sozialamt und das zur Direktion für Sicherheit, Umwelt und Energie (SUE) gehörige Amt für Erwachsenen- und Kindesschutz (EKS). Neben Performance-Schwierigkeiten kam es insbesondere beim EKS zu Problemen im Bereich der Buchhaltung.
Da die Zahlungseingänge der Klientinnen und Klienten nicht richtig verbucht wurden, befanden sich die Konten teilweise im Minus, was dazu führte, dass offene Rechnungen nicht zur Bezahlung ausgelöst wurden. Dies wiederum führte zu diversen Mahnungen und teilweise sogar Betreibungen. Die Mitarbeitenden des EKS konnten ihre Aufgaben nicht mehr ordnungsgemäss erfüllen, hatten Schwierigkeiten ihrer Sorgfaltspflicht nachzukommen und verloren den Überblick über die Buchhaltung ihrer Klientinnen und Klienten.
IT-Projekt ist peinlich für die Stadt Bern
Dies führte zu erheblichen Belastungen sowohl für die Mitarbeitenden als auch für die betroffene Klientschaft. Nicht besser wurde die Stimmung durch die Tatsache, dass die Software so langsam war, dass man bei jedem Klick fünf Minuten warten musste. Stell dir vor, du musst so den ganzen Tag arbeiten.
Obwohl die technischen Schwierigkeiten nun nahezu behoben sind, haben sich über die letzten Monate riesige Pendenzenberge angestaut, die nun von Hand nachbearbeitet und abgebaut werden müssen. Dafür werden weitere personelle Ressourcen benötigt, die teils bereits beigezogen wurden. Ebenso soll eine externe Prüfung der Vorkommnisse durchgeführt werden. Deshalb wird nun – nur wenige Monate nach dem letzten Nachkredit – erneut ein Nachtragskredit in Höhe von rund 1,05 Millionen Schweizer Franken fällig.
Nachtrag, weil ein Grossteil des Geldes bereits ausgegeben wurde und jetzt im Nachhinein durch den Stadtrat abgesegnet werden muss. Bis Ende 2023 wird so bereits mit einer Kostensteigerung von mehr als 24 Prozent gerechnet. Das liegt nicht mehr im Schwankungsbereich und kann auch nicht einfach auf «zu wenig eingestellte Reserven» abgeschoben werden.
Betriebskosten für die Software höher als erwartet
Wer jetzt denkt, das wars, liegt falsch. Denn der Gemeinderat hat angekündigt, dass es auch im Jahr 2024 nochmals einen Nachkredit brauchen wird. Zudem ist zu erwarten, dass die Betriebskosten der Software künftig sechs statt vier Millionen Schweizer Franken betragen werden.
Die obgeschilderten Vorfälle beim Sozialamt und beim EKS sind äusserst schwerwiegend und können nicht beschönigt werden. Obwohl es bei IT-Projekten immer mal wieder zu Einführungsschwierigkeiten kommt, sind die Auswirkungen in diesem Fall äusserst prekär und mehr als peinlich. Offenbar wurden unzureichende Belastungstests durchgeführt, wobei auch nicht ersichtlich wird, warum nicht eine schrittweise Einführung der neuen Software in Betracht gezogen wurde.
So stellt sich denn auch die Frage, warum scheitert die Stadt immer wieder mit ihren IT-Projekten? Sicherlich liegt ein Grund darin, dass die Stadt immer wieder versucht, das Rad neu zu erfinden, anstatt auf bewährte Standardlösungen zu setzen. Etwas mehr Bescheidenheit und eine realistischere Einschätzung der eigenen Fähigkeiten wären wünschenswert, um derartige Debakel in Zukunft zu vermeiden.
Zur Autorin: Corina Liebi ist 28 Jahre alt, Historikerin und Berner Stadträtin. Liebi ist in der Region Thun aufgewachsen und wohnt nun seit einigen Jahren in der Stadt Bern.