Das mysteriöse Verschwinden eines Schweizer Terroristen
Der Dokumentarfilm «La scomparsa di Bruno Breguet» beschäftigt sich mit dem Leben eines Schweizer Terroristen.
Kaum jemand kennt Bruno Breguet. Dabei war der Tessiner einer der berüchtigsten Schweizer Terroristen. Ein Dokumentarfilm begibt sich nun auf Spurensuche.
Während andere mit 20 Jahren eine Auszeit geniessen und vielleicht durch die Welt reisen, wird Bruno Breguet verhaftet – und kommt für sieben Jahre ins Gefängnis. Der Tessiner Gymnasiast hatte versucht, Sprengstoff für den palästinensischen Widerstand nach Israel zu schmuggeln. Nach und nach radikalisiert er sich, 1995 verschwindet er auf einer Überfahrt zwischen Italien und Griechenland. Ein Leben voller Geheimnisse und offener Fragen. Wer war dieser Mensch? Der Schweizer Dokumentarfilm «La scomparsa di Bruno Breguet» begibt sich auf Spurensuche.
Filmemacher hatte nie von dem Tessiner gehört
Realisiert hat das Werk der Tessiner Regisseur Olmo Cerri. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagte er, dass er die Geschichte im Jahr 2015 entdeckt hatte, als Breguets Tagebücher «La scuola dell'odio» («Die Schule des Hasses») neu aufgelegt worden waren. In Bellinzona wurde damals ein Anlass organisiert, an dem einige von Breguets Freunden und Weggefährten im Publikum sassen. «Es war ein sehr intensiver Moment», erinnerte sich der Filmemacher. «Ich fragte mich, warum ich, obwohl ich im Tessin geboren und aufgewachsen bin, nie von Bruno Breguet und seiner Geschichte gehört hatte.»
Nach intensiver Arbeit ist der Film nun fertig. «Breguet wurde mit einer Sache konfrontiert, die grösser war als er selbst», so Cerri. Breguet sei eine idealistische, träumerische Persönlichkeit gewesen mit einem ausgeprägten Sinn für soziale Gerechtigkeit. Der Hunger in der Welt und die Gewalt gegen die Palästinenserinnen und Palästinenser hätten ihn empört.
«Ich betrachte mich selbst als gewaltlos»
Breguet hat sich aufgelehnt – mit Gewalt. Wo positioniert sich Cerri? «Jeder muss die Kämpfe finden, die ihm am nächsten liegen, und die Wege des Widerstands, die er für sein Leben und seine Persönlichkeit für geeignet hält», sagte der Regisseur. In diesen Tagen interessiere er sich für die Palästina-Demonstrationen, für den Kampf um die Menschenrechte und für die Forderungen der Klimabewegung. Auf lokaler Ebene seien ihm der Einsatz für unabhängige Kultur, Selbstverwaltung und Agrarökologie wichtig.
Bei seinen Aktionen hatte Breguet bewusst Opfer in Kauf genommen. Wo zieht Cerri die Grenze zwischen berechtigtem Widerstand und inakzeptablem Terrorismus? «Ich habe versucht, in diesem Film keine Urteile zu fällen», sagte er. Vielmehr wollte er verstehen, was Menschen dazu bringt, sich auf eine bestimmte Art zu entscheiden.
«Ich betrachte mich selbst als gewaltlos», sagte Cerri. «Wenn man beginnt, Menschen zu gefährden, die nichts mit einer Sache zu tun haben, ist die Grenze für mich weit überschritten.» Gleichzeitig sei beim Blick auf militante Entscheidungen wichtig, den historischen Kontext zu berücksichtigen. «Die Gewalt, die von Regierungen, Institutionen oder multinationalen Konzernen ausgeübt wird, muss ebenfalls in die Gleichung einbezogen werden.»
Film zieht Parallele in die Gegenwart
Der Film spannt den Bogen in die Gegenwart. So werden zum Beispiel Klimaaktivistinnen und -aktivsten gezeigt. Cerri sagte, dass er grosse Sympathie für Menschen hege, die sich dafür persönlich engagieren und dabei ihre eigene Sicherheit oder ihren Ruf aufs Spiel setzen würden. Der Regisseur ist überzeugt: «Die Klimakatastrophe, die auf uns zukommt, wird von Politik und Wirtschaft nicht ausreichend berücksichtigt.»
Aktionen dieser Art würden dazu beitragen, diese Themen wieder in den Vordergrund zu rücken. Die Aktionen seien friedlich und symbolisch, er sei immer wieder überrascht von der Heftigkeit und Wut, mit der ein Teil der Menschen darauf reagieren. «Der Versuch zivilen Ungehorsam mit Terrorismus gleichzusetzen, wie es einige Politiker gerne tun, ist eine Gefahr für unsere Demokratie.»
Das Verschwinden des Bruno Breguet ist nicht abschliessend geklärt
Zurück zu Bruno Breguet: Es gibt unterschiedliche Thesen zu seinem Verschwinden. Er könnte untergetaucht sein, einem Racheakt zum Opfer gefallen sein oder mit der Hilfe der CIA eine neue Identität in den USA angenommen haben. «In den Medien wurde viel über die Zusammenarbeit von Breguet mit der CIA berichtet, aber eine Analyse der Dokumente zeigt, dass die Kontakte im Grossen und Ganzen begrenzt waren», so der Regisseur. Es sei schwer vorstellbar, dass die CIA grosse Ressourcen investierte, um ihm beim Untertauchen zu helfen. Cerri: «Es ist wohl unmöglich, die Wahrheit jemals zu finden.»
Viele Menschen, die Breguet nahe standen, würden sich gerne vorstellen, dass er noch am Leben ist und sich irgendwo versteckt. «Das ist eine Hypothese, die mehr vom Herzen als von der Vernunft diktiert wird», ist Cerri überzeugt. Nach der Spurensuche sagte der Regisseur: «Ich habe einen Menschen mit einem komplexen Charakter kennengelernt. Einige seiner Entscheidungen sind schwierig zu verstehen. Ich habe mehr Fragen als Antworten.»
*Dieser Artikel von Raphael Amstutz, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.