Vor dem Burgdorfer Gericht steht ein 35-jähriger Tunesier, der seit 2011 in der Schweiz lebt und verheiratet war mit einer zur Tatzeit 38-jährigen Schweizerin.

Kann ein Mann in einem wahren Blutrausch seine Frau töten und dennoch voll schuldfähig sein? Diese Frage stellt sich dem Regionalgericht Emmental-Oberaargau am Prozess um das Tötungsdelikt von 2016 in Hasle bei Burgdorf.

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In dieser Ehe kriselte es, wie am Dienstag am ersten Prozesstag klar wurde.

Die Polizei hatte einmal wegen häuslicher Gewalt einschreiten müssen. Und die Frau suchte am Tag vor der Tat Rat bei einem Bekannten. Dieser riet ihr, ein Frauenhaus aufzusuchen, wie dieser Mann als Zeuge vor Gericht sagte.

Der Frau nach Bern gefolgt

Zufälligerweise sah der Tunesier dieses längere Treffen seiner Frau mit ihrem Bekannten, und zwar gleich zweimal. Das machte ihn offenbar eifersüchtig und zu Hause in Hasle bei Burgdorf kam es zu einem Streit. Die Frau verliess dann die Wohnung und fuhr nach Burgdorf und später nach Bern, zur Reitschule. Der Mann folgte ihr.

Er stellte ihr nach und brachte sie dazu, wieder nach Hasle zu fahren. Er hingegen blieb die ganze Nacht in Bern, trank und besuchte eine Disco. Das tue er jeweils, wenn er Streit mit seiner Frau habe, sagte er vor Gericht.

Am frühen Morgen des 6. Februar 2016 wollte er nach eigenen Angaben, zu Hause angekommen, nur noch ins Bett. Dann sah er aber als Erstes, als er durch die Tür trat, ein Messer. Und seine Frau machte ihm Vorwürfe. In diesem Moment, so der Tunesier, sei er «verloren» gewesen.

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Verwaltung (Symbolbild). - Der Bundesrat

Wie bei einem Flash, so der Tunesier, drückte er die Tür zum Schlafzimmer auf, in das die Frau geflüchtet war, und stach unzählige Male mit dem Messer auf seine Frau ein. Wieso er seine Frau getötet habe, könne er nicht sagen. «Es ist einfach passiert. Ich war ein anderer Mensch.»

Am Schluss habe er seine tote Frau umarmt und gesagt: «Ich liebe dich. Verzeihe mir bitte». Danach rief er die Polizei und liess sich widerstandslos festnehmen. Seit mehr als einem Jahr sitzt er im vorzeitigen Strafvollzug.

Seine Frau hinterlässt zwei Kinder, die beim Tötungsdelikt nicht zu Hause waren. Der Tunesier steht wegen des Vorwurfs des Mords, eventuell der vorsätzlichen Tötung, vor Gericht.

Kein «Obergutachten» nötig

Wie der Gerichtspräsident am Prozess bekanntgab und der Staatsanwalt am Rand des Prozesses auf Anfrage bestätigte, hat ein Psychiater den Tunesier in einem Gutachten als voll schuldfähig eingestuft. Daran wollte der Verteidiger des Tunesiers nicht glauben.

Er stellte zweimal den Antrag, das Gericht solle die Verhandlungen unterbrechen, bis ein zweites psychologisches Gutachten, ein «Obergutachten», vorliege. Zweimal lehnte aber das Gericht diesen Antrag ab mit der Begründung, im vorliegenden Gutachten fänden sich keine offensichtlichen Mängel.

Anders als es der Verteidiger darstelle, beurteilten nicht alle Psychiater den Tunesier gleich und der vom Gericht bestellte Fachmann weiche als einziger ab. Auch bei den anderen Psychiatern gebe es Unterschiede in der Beurteilung des Mannes.

Das Gericht willigte aber ein, denjenigen Mann zu befragen, welcher im Gefängnis den Tunesier psychotherapeutisch behandelt. Dieser war als Besucher präsent - ob zufällig oder nicht, blieb unklar. Als Zeuge sagte dieser Mann aus, der Angeklagte weise eine Borderline-Persönlichkeitsstörung auf.

Der gerichtliche Gutachter sagte, dazu befragt, er sehe keine Anhaltspunkte für eine solche Störung zum heutigen Zeitpunkt. Auch wenn zur Tatzeit eine solche Störung vorgelegen hätte, heisse das nicht unbedingt, dass der Mann unter Zwang stand und nicht anders handeln konnte.

Der angeklagte Tunesier habe zur Tatzeit eine mittelschwere Anpassungsstörung mit depressiver Ausprägung gehabt, so dieser Psychiater.

Plädoyers am Mittwoch

Nach dem Entscheid des Gerichts, den Prozess fortzusetzen, stehen am Mittwoch die Plädoyers des Staatsanwalts, der Vertreter der Privatkläger und des Verteidigers auf dem Programm des Burgdorfer Gerichts. Die Urteilsverkündigung ist für Freitag vorgesehen.

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