Allianz gegen Zürcher «Stadtgrün»: «Thema wurde lange verschlafen»
Am 3. September entscheidet Zürich über die Stadtgrün-Initiative. Eine Allianz setzt sich gegen die Initiative, aber für die Gegenvorschläge ein.
Das Wichtigste in Kürze
- Die «Stadtgrün»-Initiative will Zürich für den Klimawandel wappnen und stärker begrünen.
- Die Stadt Zürich stimmt am 3. September über die Initiative und Gegenvorschläge ab.
- Es hat sich eine überparteiliche Allianz gebildet, welche für die Gegenvorschläge einsteht
Abstimmung in Zürich: Die «Stadtgrün»-Initiative verlangt mehr Massnahmen zur Hitzeminderung in der Stadt. Dafür soll mindestens ein Prozent der jährlichen Steuereinnahmen der Stadt aufgewendet werden.
Der Zürcher Stadtrat hat die Initiative für teilungültig erklärt: Es sei für die Verfassung nicht zulässig, per Gesetz einen fixen Teil des Steuerbetrags zu verwenden. Ebenfalls unzulässig sei der Eingriff in die Organisation der Stadtverwaltung. Geplant war nämlich das Delegieren von städtischen Vertretern in eine neu gegründete Stiftung.
Dennoch wurden vom Stadtrat und Gemeinderat ein direkter, sowie indirekter Gegenvorschlag erarbeitet. Dieser spräche der Initiative einen fixen Gesamtbetrag von 130 Millionen Franken zu und korrigiert die ungültigen Teile der Initiative.
Nau.ch hat sich schon mit Beni Schwarzenbach, Präsident des Initiativ-Komitees ausgetauscht. Auch die FDP hat sich mit Sebastian Vogel bereits geäussert, welche sowohl Initiative als auch die Gegenvorschläge ablehnen.
Ebenfalls hat sich eine Allianz – bestehend aus SP, Grüne, AL, GLP, Die Mitte, EVP, VCS und umverkehR – gebildet. Sie lehnen die Initiative ab, setzen sich aber für beide Gegenvorschläge ein. Für Carla Reinhard, Gemeinderätin der GLP, ist eine Begrünung der Stadt sinnvoll, allerdings nicht so, wie von der Initiative gefordert. Im Interview nimmt sie im Namen der «Allianz gegen Initiative Stadtgrün» Stellung zur Initiative.
Nau.ch: Weshalb lehnen Sie die eingereichte Volksinitiative «Stadtgrün» ab?
Carla Reinhard: Die Gegenvorschläge setzen das Ziel der Volksinitiative – hinter welchem wir ganz klar stehen – wirksamer, schneller und effizienter um als die ursprüngliche Volksinitiative, welche eine sperrige Stiftung mit Doppelspurigkeiten und ohne gesicherte Finanzierung fordert.
Das ursprünglich geforderte Steuerprozent des Initiativkomitees wurde aus rechtlichen Gründen für ungültig erklärt. Damit ist die Art und Höhe der Finanzierung unklar und der Begrünungsprozess kann weniger schnell gestartet werden als mit dem Gegenvorschlag.
Ausserdem würde eine Stiftung den Begrünungsprozess durch Doppelspurigkeiten bremsen, da die Massnahmen zwangsläufig hoheitliche Aufgabengebiete tangieren. Wir dürfen aber nicht länger wertvolle Zeit verlieren.
Es braucht jetzt Sofortmassnahmen, zum Beispiel mit Anreizen für Private, da das kantonale Planungs- und Baugesetz erst in einigen Jahren mit hitzemindernden Massnahmen ergänzt werden soll.
Nau.ch: Dennoch setzen Sie sich für die beiden Gegenvorschläge ein. Weshalb braucht Zürich mehr Begrünung?
Carla Reinhard: Ein Blick auf die Hitzekarte der Stadt Zürich reicht, um zu sehen, wie gross der Unterschied zwischen begrünten und nicht begrünten Flächen ist. Die gefühlte Temperatur beträgt zur gleichen Zeit am versiegelten Hardplatz 41 Grad, auf dem grünen Friedhof Sihlfeld 23 Grad.
Damit Zürich auch bei steigenden Temperaturen lebenswert bleibt, brauchen wir schnell mehr hitzemindernde Flächen, das heisst, mehr Begrünung, aber auch mehr Entsiegelung, zum Beispiel Kiesflächen statt Asphalt.
Nau.ch: Kritiker sagen, die grössten Hitzeinseln der Stadt wurden durch die Rot-Grüne-Mehrheit im Parlament selbst fabriziert. Was sagen Sie zu dieser Kritik?
Carla Reinhard: Die Stadtverwaltung hat der grünen Stadtgestaltung in den letzten Jahrzehnten viel zu wenig Wichtigkeit beigemessen. Dieses Thema wurde lange verschlafen und hat nicht die nötige Priorität erhalten, deshalb braucht es jetzt schnelle, flächendeckende Massnahmen.
Nau.ch: Die SVP bezeichnet die ursprüngliche Initiative als «Klimawahn» und unnötig wegen «ein paar Tagen, an denen es etwas wärmer wird». Wie ordnen Sie diese Aussagen ein?
Carla Reinhard: Wer den Klimawandel und seine Folgen immer noch leugnet und als Klimawahn bezeichnet – wie das von der SVP auch regelmässig im Gemeinderat passiert – schaut der Realität nicht in die Augen und lügt seine Wählerinnen und Wähler an. Unser Alltag wird sich verändern, das zeigen auch die starken Unwetter dieses Jahr. Wir müssen uns anpassen, unter anderem mit hitzemindernden Massnahmen.
So könnte Zürich nach Annahme der Initiative aussehen
Nau.ch: Das Initiativ-Komitee ist der Meinung, dass elf Millionen Franken pro Jahr nicht ausreichen, um eine umfassende Begrünung zu erreichen. Erwarten Sie dennoch spürbare Verbesserungen bei Annahme der Gegenvorschläge?
Carla Reinhard: Ja, ganz klar. Der Rahmenkredit ist so angesetzt, dass der indirekte Gegenvorschlag die maximale Wirkung entfalten kann, ohne dass Geld gesprochen wird, dass sowieso nicht genutzt werden könnte.
Man muss wissen, dass grössere hitzemindernde Massnahmen auf Stadtgebiet komplex sind, da sie Teil von koordinierten Bauprojekten sind, wenn beispielsweise noch Strassen saniert oder Leitungen ersetzt werden. Es können nicht unendlich viele Baustellen betrieben werden, auch der Fachkräftemangel ist dabei ein Thema.
Wir haben den Rahmenkredit im Parlament erhöht, damit noch mehr Private erreicht werden können, aber mit noch mehr als elf Millionen würden wir die Wirkung nicht noch mehr verstärken, weil man an andere Grenzen stösst.
Zur Person
Carla Reinhard ist 30-jährig und Gemeinderätin für die GLP, sowie in der Parteileitung der Grünliberale Kanton Zürich tätig. Ansonsten arbeitet sie als Kommunikationsspezialistin.
So geht es weiter
Am 3. September 2023 hat die Stadtzürcher Stimmbevölkerung die Wahl zwischen Initiative und den beiden Gegenvorschlägen. Ausserdem gibt es eine Stichwahl, falls beides angenommen werden würde.