Zürcher Suchtzentrum fordert längerfristige Heroinabgabe
Wegen Corna dürfen suchtkranke Menschen in Heroin-gestützter Behandlung, wie sie das Zürcher Suchtzentrum Arud anbietet, neu sieben Tagesdosen medizinisches Heroin mit nachhause nehmen. Arud-Chefarzt Thilo Beck will, dass das auch nach der Pandemie möglich sein soll.
Wegen Corna dürfen suchtkranke Menschen in Heroin-gestützter Behandlung, wie sie das Zürcher Suchtzentrum Arud anbietet, neu sieben Tagesdosen medizinisches Heroin mit nachhause nehmen. Arud-Chefarzt Thilo Beck will, dass das auch nach der Pandemie möglich sein soll.
In normalen Zeiten dürfen Arud-Klienten in Heroin-gestützter Behandlung nur medizinischen Heroins in Tablettenform, sogenanntes Diaphin, für zwei Tage mit nachhause nehmen. Dann müssen sie die neue Dosis wieder persönlich abholen.
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) weitete die Regelung Ende September aber schweizweit auf sieben Tagesdosen aus, wie es das bereits während der ersten Corona-Welle getan hatte.
Die neue Regelung soll bis zum 31. Dezember 2021 gelten. Für Arud-Chefarzt Thilo Beck reicht das aber nicht. Die längerfristige Abgabe funktioniere, die Konsumentinnen und Konsumenten gingen verantwortungsvoll mit den Drogen um.
Sie zu zwingen, jeden zweiten Tag im Suchtzentrum vorbeizukommen, sei «menschenverachtend». Eine solche Anforderung verunmögliche eine selbstbestimmte Lebensführung und stehe einer Reintegration in die Gesellschaft deswegen im Weg.
Die Arud habe das ausgeweitete Abgaberegime eng begleitet und unter 260 der 360 Klienten des Diaphin-Programms eine Befragung durchgeführt. «Mit eindrücklichen Ergebnissen», sagte Beck. Seine Klienten hätten sich teilweise in unerwartetem Massstab stabilisiert.
Weil der Stress fehle, ständig bei der Drogenabgabestelle vorbeizumüssen, seien viele «mehr bei sich» und könnten erstmals einer Arbeit nachgehen. «Eine längerfristige Mitgabe bedeutet Autonomie für unsere Klienten», so Beck.
Heroin sei lange verteufelt worden, aber es helfe einigen Suchtkranken besser als etwa Methadon. Laut BAG erhalten rund acht Prozent der Schweizer Suchtkranken in Behandlung eine Diaphin-Therapie. Beck ist allerdings überzeugt, dass eine Diaphin-Therapie bei einem Drittel nötig wäre.
Die Hürden für Diaphin-Programme seien aber zu hoch. So stellt die Betäubungsmittelsuchtverordnung (BetmSV) etwa detaillierte Vorgaben bezüglich der Durchführung einer Diaphin-Therapie. «So etwas fällt eigentlich in die Zuständigkeit der behandelnden Ärztinnen und Ärzte», sagte Beck. Diese könnten auch besser auf neue Erkenntnisse reagieren. Das Gesetz sei in dieser Hinsicht zu träge.
Momentan laufen Vorbereitungen für eine Revision der BetmSV, von der Beck hofft, dass die Bestimmungen für die Diaphin-Behandlung gelockert werden. Denn andere Substitutionspräparate kennen keine solchen rigiden gesetzlichen Einschränkungen: Methadon kann heute schon für 30 Tage abgegeben werden.
«Ich hätte mich zu Tode getrunken», sagt heute eine Patientin des Dipahin-Programms der Arud. Sie war bereits einmal zu Platzspitz-Zeiten in der Drogenszene, war dann für 18 Jahre clean, in denen sie aber ein Alkoholproblem hatte. Wegen des Verlusts ihres Partners vor zwei Jahren entwickelte sie eine Morphin-Abhängigkeit, die sie zum Diaphin führte.
Durch das Diaphin trinke sie fast keinen Alkohol mehr, bleibe nüchtern und könne sich so um persönliche Probleme kümmern. Das sei wichtig für die ehemalige Key-Account-Assistentin im ICT-Bereich, denn: «Ich will zurück ins Leben.» Deswegen sei sie wieder auf Jobsuche.
Die Abgabe von sieben statt zwei Tagesdosen gewähre ihr mehr Freiheit und vermindere den alltäglichen Stress. «Man muss sich die Dosen aber gut einteilen können», sagte die Mittfünfzigerin. Was ihr mittlerweile jedoch manchmal fehle, sei der soziale Kontakt. Vor der neuen Regelung hätten sich die Klientinnen und Klienten vor der Arud manchmal noch auf eine Zigarette getroffen.