Literaturwissenschaftlerin Salomé Meier freut sich über Han Kangs Literaturnobelpreis und schreibt ihre Doktorarbeit an der Universität Zürich über sie.
«Deine kalten Hände» von Han Kang. Foto: Aufbau Verlag Berlin
«Deine kalten Hände» von Han Kang. (Archivbild) - dpa-infocom GmbH

Die Literaturwissenschaftlerin Salomé Meier freut sich über die Würdigung, die Han Kang nun mit dem Literaturnobelpreis erhält. Sie arbeitet derzeit an der Universität Zürich an ihrer Doktorarbeit und schreibt darin unter anderen über Han Kang.

Was ist reizvoll für Leserinnen und Leser aus Mitteleuropa an den Büchern der Südkoreanerin Han Kang?

Salomé Meier: An Han Kangs Roman «Die Vegetarierin» lässt sich ein kultureller Unterschied zeigen. Bei uns ist es kaum der Rede wert, wenn Frauen kein Fleisch essen. Ganz anders in Südkorea. Fleischkonsum dort ist fest im kulturellen Selbstverständnis verankert.

Im Roman verzichtet eine Frau auf Fleisch. Diese Geste des Verzichts steht dafür, dass sich die Frau der männlichen Vorherrschaft entzieht. In Han Kangs Romanen geht es häufig darum, dass sich Frauen dem Druck der männlich geprägten südkoreanischen Gesellschaft entziehen. Häufig erzählt Han Kang diesen Entzug über eine Tranformation, in der sich Frauen in etwas anderes als Menschliches verwandeln.

Das Nobelkomitee schreibt, Han Kangs poetischer und experimenteller Stil habe sie zu einer «Innovatorin der zeitgenössischen Prosa» gemacht. Wie erklären Sie das?

Meier: Han Kang findet immer wieder eine neue Sprache. Aber in vielen ihrer Werke geht es um die Verletzlichkeit weiblicher Körper. Von dieser Verletzlichkeit erzählt die Autorin über den Körper, nicht über Worte.

Han Kangs Prosa ist andeutend und symbolhaft. Das ist verstörend, häufig unverständlich. Und es fordert zum Mitdenken.

Das klingt düster.

Meier: «Weiss» ist weniger ein Roman als ein Langgedicht. Han Kang erzählt darin auf lyrische Weise von weissen Dingen: das Weiss des Schnees, das Weiss einer Windel, das Weiss der Muttermilch. Hinter diesen Gegenständen schimmert eine (autobiographisch verbürgte) Erinnerung auf, die vor der Zeit der Erzählerin liegt: die Erinnerung an ihre ältere Schwester, die als Neugeborene in den Armen ihrer Mutter starb.

Der Text ringt mit dieser stillen Tragödie, die das Leben der Familie geprägt hat und sich in den Bildern von Weiss der Erzählerin aufdrängen. Bei aller Düsternis, ist da aber auch immer eine Helligkeit. Ein Trost, den die Erzählerin in der Schönheit der Dinge, der Kunst findet.

Welche Bücher würden Sie Leserinnen und Lesern empfehlen, die zum ersten Mal Han Kang lesen wollen?

Meier: Für die «Die Vegetarierin» wurde Kang 2016 mit dem Booker Prize ausgezeichnet. Und sie wurde damit bei uns populär. Das ist ein Einstieg.

Oder «Deine kalten Hände» (2019). Darin geht es um eine Frau, die zum Medium für ein Kunstprojekt wird. In beiden Büchern befreit sich eine Frauenfigur aus der männlichen Projektion

Wie werten Sie den Literaturnobelpreis 2024?

Meier: Auch vor dem Hintergrund, dass ich meine Doktorarbeit unter anderem über Han Kang schreibe, freue ich mich ganz besonders über diese Würdigung. Und ich hoffe auf mehr Übersetzungen. Bisher sind nur fünf ihrer Werke ins Deutsche übersetzt.

Und ausser «Deine kalten Hände», das im Original 2002 erschienen ist, vor allem solche, die nach dem Booker Prize 2016 kamen. Es wäre schön, wenn wir nun auch die früheren Werken von Han Kang kennenlernen würden.

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