Anti-Flag zwischen Wut und Hoffnung

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USA,

Seit rund 25 Jahren singen Anti-Flag gegen die Ungerechtigkeiten in dieser Welt an. Jetzt bringen die Polit-Punks ihr zwölftes Studioalbum heraus.

Anti-Flag geht es vor allem um Empathie. Foto: Josh Massie/dpa
Anti-Flag geht es vor allem um Empathie. Foto: Josh Massie/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Polit-Punks Anti-Flag melden sich dieser Tage mit ihrem 12.

Studioalbum zurück. Auf «20/20 Vision» wird das Quartett aus Pittsburgh nicht müde, die Globalisierung, das weltweite Wirtschaftssystem, die US-Regierung und Präsident Donald Trump anzuprangern.

Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur sprechen die beiden Band-Protagonisten Justin Sane und Chris#2 über ihren Einfluss als Protestband und dass sie gerne auch mal ein Interview geben würden, in dem es nicht um Politik geht.

Frage: Wie sieht eure Vision für 2020 aus?

Antwort Chris#2: Für mich persönlich ist 2020 ein wichtiges Jahr, nicht nur weil eine neue Dekade beginnt. Ich blicke optimistisch in die Zukunft. Das Pendel ist bei vielen Regierungen in der Welt so weit nach rechts geschwungen, der Profit steht über dem Wohl Menschen - es muss einfach wieder zurückpendeln. Ich glaube immer noch an die Menschheit und ihre Fähigkeiten nicht alles zu zerstören.

Antwort Justin Sane: Das weltweite Wirtschafts-System ist einfach untragbar. Wir verbrennen Ressourcen. Das System schluckt die Menschen, spuckt sie wieder aus und hinterlässt gebrochene Personen. Wir sind aber an einem historischen Punkt angekommen, an dem die Menschen sich darüber bewusst werden, was alles schief läuft.

Daraus resultieren Bewegungen, die sich bilden. In den USA haben wir etwa die Occupy-Wallstreet-Protestbewegung. Als sich diese Bewegung gebildet hat, ist so vielen Menschen ein Licht aufgegangen, was die enorme soziale Ungleichheit zwischen Arm und Reich angeht. Früher war vielen gar nicht bewusst, wie weit die Schere zwischen Arm und Reich aufgeht. Auf einmal haben sich die Leute über Dinge unterhalten, die für sie früher nie ein Thema gewesen wären. So wie etwa die allgemeine Gesundheitsversorgung. Es hat ein Bewusstseinswandel stattgefunden. Die Menschen erkennen, dass das derzeitige System untragbar ist und das wir etwas Neues brauchen.

Frage: Glaubt ihr, dass die Protestbewegungen gross genug sind, um etwas am bestehenden System zu ändern?

Antwort Sane: Es regen sich Proteste auf der ganzen Welt...

Antwort Chris#2: ...wir wären keine Punkband, wenn wir nicht daran glauben würden, dass sich etwas ändern lässt, und Leute wie Donald Trump oder Parteien wie die AfD bei euch in Deutschland an Macht verlieren. Die Chance ist da, unsere Geschichte umzuformen. Doch wir müssen als Einheit am System etwas ändern, sonst sind wir verdammt, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Ich kann dir nicht sagen, was wir als vierköpfige Band für einen Einfluss haben. Doch ich kann dir sagen, das unsere Alben und unsere Shows eine Gemeinschaft dokumentieren, die in Opposition zum herrschenden System steht.

Frage: Live würde sich vom neuen Album sehr gut der Song «The Disease» eignen, wie ich finde.

Antwort Chris#2: Den Song haben wir mehrmals überarbeitet. Traditionell schreiben wir Songs aus der Perspektive: Wir gegen die Anderen. Das ist bei «The Disease» anders. Da benutzen wir die entgegengesetzte Sprache der Elite, wie sie über die Armen spricht. In dem Song geht es aber auch um die unglaublich hohe Anzahl unveröffentlichter Polizeigewalt gegen die afro-amerikanische Bevölkerung. Die Handykameras tragen dazu bei, dass diese Zahlen sinken. Die Polizei hat ihr Vorgehen geändert, seitdem sie weiss, dass sie bei ihren Taten gefilmt werden kann.

Frage: Habt ihr eine Erklärung, warum der Rassismus in den USA immer noch so stark verbreitet ist?

Antwort Sane: Ich glaube die Trennung von Gemeinschaften hat sehr viel damit zu tun. Und die ist auf die wirtschaftlichen Unterschiede zurückzuführen. Wenn du nicht viel Zeit mit Menschen verbringst, die anders sind als du, brauchst du sie nicht zu respektieren. So denken viele. Ausserdem haben die Menschen davor Angst, was sie nicht kennen. Und gerade die afro-amerikanische Bevölkerung lebt in vielen Teilen Amerikas vom Rest getrennt. Und die meisten Polizisten leben nicht in diesen Gegenden. Ausserdem dürfen wir nicht vergessen, dass Amerika durch rassistische Sklaverei gegründet worden ist. Die DNA von Amerika ist rassistisch.

Frage: Anti-Flag gehen mit gutem Beispiel voran und kritisieren das ungerechte System. Warum machen das die grösseren Bands oder Künstler des Mainstreams nicht?

Antwort Chris#2: Natürlich könnte es mehr Protest in der Welt geben. Die höheren Schichten kennen die Nöte der Unterschichten nicht oder sie sind ihnen egal. Die nötigen Veränderungen, die wir in unserer Welt brauchen, kamen schon immer von unten. Ich kann andere Bands oder Künstler nicht dazu drängen, etwas zu machen, wovor sie vielleicht Angst haben oder nicht wissen, wie es zu tun ist. In der heutigen Zeit werden durch das Internet Äusserungen rasend schnell verbreitet.

Wenn du die Politik an der Grenze zu Mexiko kritisierst, bist du für viele Leute gleich ein Demokrat. Wenn du nicht in einer Band wie Anti-Flag spielst, die seit 25 Jahren die gesellschaftlichen und politischen Zustände kritisierst, kann die Reaktion auf politische Statements schon sehr einschüchternd wirken. Die Medien haben einfach zu viel Macht. Die Besitzer der Mainstream-Medien sind gar nicht daran interessiert, die Zustände zu ändern. Sie wollen den Status Quo bewahren. Deshalb berichten sie auch kaum über die stattfindenden Proteste.

Frage: Erreicht ihr mit eurer Botschaft genug Menschen, um die Dinge zum Positiven zu verändern?

Antwort Chris#2: Niemals (lacht). Als wir Anti-Flag gegründet haben, hätten wir niemals geglaubt, dass wir über den Bundesstaat Ohio hinaus auftreten würden. Jetzt sitzen wir in Berlin und geben ein Interview. Das ist einfach unglaublich. Es ist toll zu sehen, dass die Leute, die früher als Jugendliche auf unseren Konzerten waren, jetzt in sozialen Einrichtungen arbeiten oder in ein öffentliches Amt gewählt werden. Natürlich reicht das nicht aus.

Anti-Flag verfolgen eine Idee: Empathie. Wir wollen, dass die Leute zu unseren Konzerten kommen, unsere Alben hören und verdammt noch mal nicht nur an sich selbst denken sollen. Diese Einstellung sollen sie in die Schule, an den Arbeitsplatz oder den Abendbrottisch mitnehmen. Das verändert die Welt, nicht ein zweieinhalbminütiger Punkrocksong.

Antwort Sane: Wir sind damals mit der naiven Idee angetreten, dass die Leute unsere Songs hören und danach nicht mehr in den Krieg ziehen und gegen andere Menschen kämpfen wollen. 20 Jahre später finde ich heraus, dass wir dazu beitragen, dass die Menschen ihre Meinungen ändern. Derjenige, der eigentlich seinen Kriegsdienst ableisten wollte, schliesst sich stattdessen den Friedenscorps an. Unsere naive Idee ist nicht in dem Sinne wahr geworden, dass es auf der Welt weniger Krieg gibt. Doch sie ist wahr geworden, indem wir Einfluss auf die Menschen ausüben.

Antwort Chris#2: Nicht viele Bands sprechen in Interviews über diese Dinge.

Frage: Würdet ihr manchmal lieber über Musik und nicht ständig über Politik in den Interviews sprechen?

Antwort Sane: Ach ja, manchmal wäre es schon schön über ein bestimmtes Riff in einem Song zu reden.

Frage: Habt ihr Anti-Flag gegründet wegen der Liebe zu Punkrock oder weil ihr eure Botschaft verbreiten wolltet?

Antwort Sane: Beides. Wir hören uns gerne unsere Musik an. Wenn wir auf Tour sind, lieben wir es, mit anderen Menschen über den Zustand der Welt und der Gesellschaft zu reden.

Frage: Diskutiert ihr auf Tour mit den anderen Bands nur über Politik, oder sprecht ihr auch mal über Bier, Frauen und Football?

Antwort Chris#2: Ich glaube, die anderen Bands würden das gerne mal. (lacht). Doch wir sind einfach so, wie wir sind: Wenn wir uns als Band zum Proben treffen, quatschen wir erstmal eine Stunde lang über aktuelle politische Entwicklungen.

Antwort Sane: Es ist echt abgefahren: Wir vier Bandmitglieder sind, was politische Dinge angeht, total auf einer Linie. Wir sind seit 20 Jahren zusammen in dieser Band, und ich weiss genau, was Chris über bestimmte Dinge denkt. Wir vier kommen alle aus der Punkszene von Pittsburgh, wir glauben an die gleichen Dinge.

Antwort Chris#2: Ich glaube, wir haben einfach Pech gehabt, nicht genug Geld zu verdienen, um bei den Konservativen dabei zu sein. (grosses Gelächter von beiden).

Frage: Sucht ihr euch die Bands, mit denen ihr auf Tour geht, nach bestimmten Kriterien aus?

Antwort Sane: Wir achten schon darauf, dass wir mit Bands touren, die eine abwechslungsreiche Besetzung haben. Es ist zum Beispiel schön, wenn Frauen in der Band sind. Gerade im Punkrock, der sehr von weissen Männern geprägt ist, ist das wichtig.

Antwort Chris#2: Inspirationen auf Tour bekommen wir nicht nur von den Zuschauern, die wir treffen, sondern auch von den anderen Bands. Mit einigen Leuten, die ich auf Tour kennengelernt habe, würde ich am liebsten jeden Morgen frühstücken, weil die Gespräche mit ihnen so inspirierend sind.

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