«Böses Blut» von Robert Galbraith alias J.K. Rowling
Ein neuer Krimi von J.K. Rowling alias Robert Galbraith: 40 Jahre sind eine lange Zeit, erst recht in einem Vermisstenfall. Cormoran Strike nimmt die Herausforderung mit Partnerin Robin trotzdem an. Und dringt in Abgründe vor.
Das Wichtigste in Kürze
- Harry Potter ist er sicher nicht - schon äusserlich gibt es da kaum Anknüpfungspunkte: der massige, beinamputierte Privatdetektiv Cormoran Strike.
Doch auch ihn umgibt eine besondere Aura, wo er erscheint, steht er im Mittelpunkt.
Er ist die Hauptfigur einer Krimireihe von Robert Galbraith - ein Pseudonym, hinter dem sich bekanntlich J. K. Rowling verbirgt. Hier wie dort zeigt sie ein besonderes Talent, Orte und Landschaften ebenso wie das Innenleben ihrer Figuren bis hin zu seelischen Abgründen eindrucksvoll und einfühlsam zu zeichnen. Und eine düstere, manchmal morbide Atmosphäre zu schaffen - so auch im neuen Thriller «Böses Blut». Und er beginnt - schon überraschend - nicht mit einem Todesfall.
Sondern mit einem Vermisstenfall, ein sogenannter Cold Case, denn die Hintergründe liegen bereits 40 Jahre zurück. Aber glaube niemand, dass dies für die Detektive eine Beruhigung sein kann, zu düster, unheimlich und bedrohlich sind die Umstände des Verschwindens in dem Fall - und manchmal reichlich abstrus.
Worum geht es? Strike ist zu Besuch bei seiner Familie in Cornwall - und der Leser fühlt sich gleich mitten im Geschehen, wenn klar wird, dass sich die Unabhängigkeitsbestrebungen im Königreich nicht auf Schottland beschränken. Auch die Menschen in Cornwall sind den Engländern nicht alle ganz grün. Hier wird der Detektiv von einer Frau angesprochen, die ihn bittet, ihre Mutter Margot Bamborough zu finden, die 1974 unter mysteriösen Umständen verschwand. Strike ist neugierig. Er nimmt den Fall zusammen mit seiner Partnerin Robin Ellacott an.
Schnell wird klar, dass die verschwundene Ärztin in einem unsagbar unerfreulichen und düsteren Umfeld lebte. Es gibt nur eine echte Spur - und die führt zu einem inzwischen verurteilten psychopathischen Serienmörder. Zwei andere Ermittler sind an dem Fall gescheitert - und dass Strike an die alte Fallakte kommt, vergrössert die Probleme nur: Denn der zuständige Polizist scheint wahnsinnig zu sein, er bearbeitete den Fall anhand von Tierkreiszeichen und Tarotkarten. Und die Zeugen, soweit sie noch leben, haben hässliche kleine Geheimnisse. Und auch grössere. Irgendwann stehen Cormoran und Partnerin Robin vor der Frage: Lebt die Ärztin möglicherweise noch?
Gleichzeitig machen den Ermittlern und ihrem Team die übrigen Fälle zu schaffen, die viel Zeit beanspruchen. Stress und Arbeitsverdichtung, wohl jedem aus dem eigenen Arbeitsalltag bekannt, werden fast greifbar. Darüber hinaus belasten die beiden Hauptfiguren ihre ganz persönlichen und familiären Verstrickungen. Strikes Tante, die ihn aufgezogen hat, ist schwer krank, gleichzeitig drängt sich der ungeliebte Vater wieder an ihn heran. Robin Ellacott steckt mitten in der Scheidung - und versucht sich immer wieder darüber klar zu werden, wie sie nun wirklich zu Cormoran Strike steht. Dem ergeht es keinen Deut besser.
Langsam und mühsam tasten sich die Ermittler an den Kern des immer seltsameren Vermisstenfalles heran. Und für den Leser ist es manchmal fast ebenso mühsam: Nicht jeder wird es lieben, immer wieder mit Strike mühsame Befragungen zu erleben, mit ihm in rauchgeschwängerten Pubs zu sitzen - und zu warten, gefühlt endlos, teils ermüdend, während die Autorin in immer neuen Beschreibungen schwelgt. So fängt «Böses Blut» eher langsam an, um nicht zu sagen: langatmig. Doch schliesslich nimmt die Handlung Fahrt auf, wird packend, mitreissend, immer aber düster und morbide. Gleichzeitig kommt die Autorin ohne die blutrünstige, aber auf Dauer ermüdende Brutalität von Standardkrimis aus, das spricht für sie.
Die Cormoran-Strike-Krimis leben von der Hauptfigur - kein Sherlock Holmes mit seiner Kombinationsgabe, kein Hercule Poirot mit den kleinen grauen Zellen, auch kein Lord Peter Wimsey mit seinem Witz und seiner Eleganz, eher ein düsterer, schlecht gelaunter und introvertierter Mann. Und dennoch der absolute Mittelpunkt, eine überlebensgrosse Figur - nicht nur wegen seiner Körpergrösse. Wenn man so will: Spätestens mit Cormoran Strike ist die Proletarisierung des traditionellen englischen Krimis gelungen.
Robert Galbraith: Böses Blut. Blanvalet Verlag München, 1200 Seiten, 26,00 Euro, ISBN 978-3-7645-0768-8