In ihrem Romandebüt «Ein anderes Leben» erzählt die deutsche Schauspielerin Caroline Peters berührend von einer Patchworkfamilie.
Caroline Peters spricht über ihre Berlin-Erfahrung.
Caroline Peters spricht über ihre Berlin-Erfahrung. - Eva Manhart/APA/dpa

Von wegen Familienidyll: In ihrem Romandebüt «Ein anderes Leben» erzählt die deutsche Schauspielerin Caroline Peters berührend von einer Patchworkfamilie, die von ihrem Zentralgestirn, der Mutter, verlassen wird. Das hat Gründe.

Die beiden älteren Schwestern, die sich erst entspannen, wenn die jüngste Schwester sauer wird. Die Mutter, die nacheinander ihre drei Jugendfreunde heiratet und von jedem eine Tochter bekommt, gleichzeitig aber vor allem für Gedichte und russische Literatur lebt und sich von den Erwartungen ihrer Familie erdrückt fühlt.

Erinnerungen, die zur heiklen Angelegenheit werden, weil jeder sich anders erinnert. Und die Beerdigung des Vaters, die die jüngste Tochter dazu bringt, auf das Leben ihrer Mutter und die eigene Kindheit zurückzublicken. Es ist kein Familienidyll, das hier angerichtet wird.

«Ein anderes Leben» ist der erste Roman der Schauspielerin Caroline Peters, die bislang mit Fernsehproduktionen, wie in der Krimiserie «Mord mit Aussicht» einem grösseren Publikum bekannt wurde.

Gerade war sie Gast am 20. Zurich Film Festival, wo sie den Film «Der Spitzname», den dritten nach «Der Vorname» und «Der Nachname», von Sönke Wortmann vorstellte. Zudem gehört sie seit diesem Jahr wieder dem Ensemble des Burgtheaters in Wien an.

In ihrem Roman geht es darum, den eigenen Weg zu finden, sich aber auch zu behaupten gegen die eine übergrosse Figur im eigenen Leben – in diesem Fall die längst gestorbene Mutter. Die, sie heisst Hanna, mit grosser Energie und Hingabe, doch auch zunehmend verloren zwischen Bürgerlichkeit und Boheme mäandert.

Zum Beispiel: Den Sonntagmorgen verbringt sie mit Werken Puschkins und einem Sekt, den sie aus einer hauchdünnen Porzellantasse trinkt, im Bett, zusammen mit ihrer Jüngsten.

Autorin weiss, was sie tut

Doch als sie ein Wort findet, das möglicherweise nicht gut übersetzt worden ist, vergisst sie die Zweisamkeit, umgibt sich mit Wörterbüchern und Zetteln und sucht eine Lösung. Wohl selten dürfte so einprägsam gezeigt worden sein, wie verloren sich ein Kind, in diesem Fall eine Jugendliche, fühlen kann.

Aus Nachmittagen beim Konfirmandenunterricht wiederum macht Hanna eine Show und legt einen grossen Auftritt hin, steht wie so oft im Mittelpunkt – zum Entsetzen ihrer jüngsten Tochter, die rasende Wut verspürt. Und in der Universitätsbibliothek, wo sie arbeitet, flirtet sie mit Studenten – unter den Augen der Tochter.

Gleichzeitig aber wollen Hanna und ihr dritter Mann Bow, der Vater der jüngsten Tochter, in der Nachbarschaft nicht nur dazugehören, sondern auch glänzen: So kleidet sie sich wie alle Nachbarinnen cremefarben, verteilt Kuchen und Lachs-Canapes und versucht, Besucher zu beeindrucken. Die Folge der Verstellung: Depressionen. Schliesslich verlässt sie die Familie.

Die Autorin weiss, was sie tut. Mitten im Roman fällt ein Satz, der ihr Erstlingswerk recht genau beschreibt: «Es ist schwer, die Erinnerungen in der chronologischen Ordnung zu halten.» Das ist ein Gedanke der jüngsten Tochter, der Erzählerin, die langsam begreift, wie ihre ganze Welt, auch die drei Väter, ihre Schwestern und sie wie Planeten auf Umlaufbahnen um den Fixstern kreisen – ihre Mutter Hanna.

Das Ergebnis ist ein Geflecht aus Erinnerungen aus ganz verschiedenen Zeiten, die wie Einsprengsel die Gegenwart mit der Beerdigung des Vaters und der Zeit kurz danach immer wieder unterbrechen, aufhalten und gegen den Strich bürsten.

Mit diesen verschiedenen Zeitebenen jongliert Caroline Peters in ihrem Debüt-Roman gekonnt. Einfühlsam und liebevoll beschreibt sie die Eigenarten der immer wieder aus der erwarteten Rolle fallenden Mutter, die ihren eigenen Weg eigentlich ganz woanders sieht, nicht bei ihrer Familie. Dabei schimmert Humor durch, selbst zum dramatischen und melancholischen Höhepunkt. Es besteht kein Grund zur Sorge nach dem Motto: Jetzt schreibt sie auch noch.

Die Autorin hat zudem keine Scheu davor, Unklarheiten nicht aufzulösen: Warum trennt sich Hanna von Mann und Familie? Tut sie es überhaupt? Es wird deutlich, wie schwer es ist, sich auf Erinnerungen zu verlassen – besonders, wenn andere Menschen sich an das gleiche Ereignis ganz anders erinnern.

So glauben die beiden älteren Schwestern, die Mutter sei nicht aus freien Stücken gegangen, sondern gewissermassen «rausgeschmissen» worden von Bow und der jüngsten Tochter.

Doch die Erzählerin, immer nur «die Kleine» genannt, versteht schliesslich, warum sich ihre Mutter von Mann und Familie trennt, ausbricht und in eine andere Wohnung zieht: «Ihr Denken und Fühlen war endlich an dem Punkt angekommen, auf den Hanna zugestrebt war: ein eigenes Zuhause.

Keines Mannes Zuhause, keiner Mutter Zuhause, auch keines, das sie ihren Kindern zu bieten hatte. Ein Zuhause, das sie ihren sich überschlagenden Gedanken, den vielen Worten in ihrem Kopf und ihrer Seele schuldig war.» Um endlich ihren eigenen Weg zu gehen.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

Zurich Film FestivalDepressionenEnergieMutterVaterMord