Die Ärzte melden sich mit «Hell» zurück
Nach acht Jahren Stille melden sich die Ärzte mit dem Album «Hell» zurück. Die Platte ist geladen mit gewaltigem Musikspass.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Ärzte haben ihr neues Album «Hell» veröffentlicht.
- Es ist das erste Album seit acht Jahren.
- Ein Titel des Albums ist bereits auf Platz eins der Charts.
Die Charts können schon mal Top-Positionen freiräumen. Nach acht Jahren voller Knatsch – aber ohne Album – sind Die Ärzte aus dem Studio zurück. Der erste Hit ist schon platziert. Ein fulminantes neues Album der Band verspricht weiteren Erfolg.
Erste Duftmarken sind schon gesetzt: Die zweite Single-Auskopplung «True Romance» landete direkt auf Platz eins der Charts. Es ist erst das fünfte Mal die Top-Position für die 1982 gegründete Band. Zuvor kletterte «Morgens Pauken» schon auf Platz drei.
Das fulminante Album «Hell» von Bela B (57), Farin Urlaub (56) und Rodrigo Gonzalez (52) verspricht weitere Erfolge. Vor allem aber: Es gibt jede Menge Musikspass.
«Es ist eine unserer besten Platten», sagt der Schlagzeuger Bela B im Gespräch der Band mit der Deutschen Presse-Agentur. Die 18 Stücke von «Hell» belegen nachhaltig, dass der Satz keine leere Phrase eines Musikers über sein jüngstes Werk ist. «Diese Mischung ist echt geil», ergänzt Gitarrist Urlaub und nennt den hörbaren Grund. «Jeder von uns schreibt Songs, die die anderen beiden niemals schreiben würden.»
Punk oder nicht Punk?
So ist «Hell» ein sehr vielseitiges Ärzte-Album geworden. Harte Rockriffs bilden eine Soundwall neben gezupfter Streicherromantik. Erstklassiger Pop findet sich neben Kurt Weillscher Avantgarde, schunkelnder Bierfröhlichkeit oder wildem Oi!-Punk.
Punk? So nonkonformistisch und provozierend Die Ärzte einst begonnen haben mögen, wird das Rebellische immer wieder in Frage gestellt. Das haben sie mit der ersten Auskopplung «Morgens Pauken» selbst auf die Schippe genommen.
«In den 90ern ging es los mit Golf-Punk und Business-Punk», sagt Urlaub. «Und dann hiess Punk, wir sind alle sowieso ein bisschen anders und eigentlich stecken wir alle unter einer Decke. Der Song ist die Abrechnung mit jedem, der in Anspruch nehmen will, dass er auch Teil cooler Subkultur ist.» Bela B sieht im Song denn auch ein «Plädoyer für Vielseitigkeit».
Die Ärzte landen viralen Hit
Wie erfolgreich Die Ärzte immer noch ansteckend fröhlichen Pop machen können, zeigt «True Romance». Ein Song über einsamen Sex in virtuellen Zeiten mit Gespielinnen wie Siri und Alexa. Unter #singtrueromance finden sich im Netz bereits unzählige Coverversionen.
Der Zusammenschnitt «We Are The Romance» vereint Künstler wie Die Toten Hosen, Antilopen Gang, Beatsteaks, Deichkind, Fettes Brot und Kraftklub. Die Palette geht weiter über Tocotronic bis hin zu H.P. Baxxter oder Roland Kaiser.
Wilder Mix an Songtexten
Mit «Das letzte Lied des Sommers» gibt es einen Song, der an die launige Mitsingkultur eines Hits wie «Westerland» anknüpft. Bei Zeilen wie «Ich träume immer noch von Sonne, Sand und Meer / doch ich steh' hier im Berufsverkehr» scheinen vielstimmige Chöre im Pendlerstau programmiert.
Karibisch-fröhlich rückt «Ich, am Strand» die Ego- und Selfie-Manie in den Fokus. Bis hin zum finalen Foto beim Kippensammeln unter dunkler Brücke.
Daneben steht mit «Achtung: Bielefeld» ein sehr rockiges Plädoyer für ein offenes Bekenntnis zur Langeweile. Wie ernst es den Ärzten damit ist, zeigt die Zeile «ich denke, dass eine Mutter in Aleppo sich auch ganz gern mal langweilen würde».
Urlaub zum Song: «Der Bezug zu Aleppo war mir beim ersten Hören sogar zu hart und jetzt bin ich total glücklich, dass es auf dem Album drauf ist.» Bela B: «Es ist ein verdammter Luxus, dass wir uns langweilen dürfen. Genauso wie es verdammter Luxus ist, dass wir hier in unserem Land nur beim Einkaufen eine Maske tragen müssen. Es ist auch ein Song gegen das Jammern.»
Schüsse gegen die AfD
Womit wir bei der Politik wären. «Wer verliert, hat schon verloren» warnt vor schneller Aufgabe kämpferischer Ziele, denn «Verlieren ist keine Option». Daneben geht es gegen krude Verschwörungsmythen aus dem «Netz der Wahrheit».
In «Woodburger» wird die AfD mit Analverkehr unterlaufen, die könne zudem «ohne Angst und Hass nicht überleben». Mit «Liebe gegen rechts» setzen Die Ärzte auf die Heilkraft emotionaler Zuwendung, weil ja «niemand als Faschist geboren» wird.
Rechtsruck gehört zum Alltag
Für Urlaub ist «Hell» ein «relativ» politisches Album. Es seien Alltag und Dinge, «mit denen wir uns beschäftigen», sagt Bela B. «Dazu gehören blöderweise auch der Rechtsruck, die rechtspopulistischen Auswüchse der letzten Jahre.» Mit Einschränkung: «Alles garniert mit der Albernheit und Leichtigkeit der Ärzte.»
Nach acht Jahren ohne Ärzte-Album sind nun ganz viel Spielwitz und Ideenreichtum zu finden. Urlaub lässt mit gleich zehn Songs seiner Gestaltungskraft freien Lauf. Seinen Gitarren-Helden Frank Zappa platziert er gleich in zwei Texten. Dazu kommt ein Gitarrensolo aus Zappas «Wind Up Workin' In A Gas Station» als musikalisches Zitat in «Warum spricht niemand über Gitarristen?».
Bela B betont den musikalischen Wert der Songs. «Auf der Platte ist es ganz von allein gelungen, bei grossartigen Stücken wie "Warum spricht keiner über Gitarristen" oder "Polyester" den Text fast unterstützend wirken zu lassen, wo man die Stimme als gleichwertiges Instrument wahrnehmen und den Sinn der Worte, so gut sie sind, auch mal ausblenden kann.»
«Kein Humor funktioniert ohne Tragik»
Der «Clown aus dem Hospiz» blickt auf die dunkle Seite der Kunst. «Irgendwie gehörte die Melancholie des Verlierers für mich zur Rockmusik», sagt Bela B. Einer Theorie zufolge müsse der Künstler immer um Haaresbreite am Abgrund stehen, um produktiv zu sein. «Kein Humor funktioniert ohne Tragik. Und ohne tragische Tiefe wären die Ärzte nicht so lustig.»
Manche Frage lassen «Hell» und die Musiker unbeantwortet. «Der Songtitel ‹Fexxo Cigol› bezieht sich auf etwas, was nicht mal Rod weiss, vielleicht auch nicht wissen will», sagte Bela B. Auch die Bedeutung von «EVJMF» sei «ein Insider, das behalten wir für uns». Bassist Gonzales mit Ärzte-Lachen: «Das wird auf meinem Grabstein stehen.»