Es bleibt kompliziert: Elektropop von Thom Yorke

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Die Anfänge mit gitarrenlastigem Indierock liegen für Thom Yorke lange zurück. Solo setzt der britische Sänger den Schwenk seiner Band Radiohead zu Elektro-Soundgemälden fort. Auch Yorkes drittes Studioalbum fasziniert und berührt.

Kryptisch, komplex und nicht immer leicht zugänglich: Neue Musik von Thom Yorke. Foto: Amy Harris/AP
Kryptisch, komplex und nicht immer leicht zugänglich: Neue Musik von Thom Yorke. Foto: Amy Harris/AP - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Seine Hauptband Radiohead ist seit drei Jahren verstummt, doch Sänger Thom Yorke ruht sich als mittelalte Rocklegende nicht auf den Lorbeeren aus.

Mit Produzenten-Genie Nigel Godrich und Computerkünstler Tarik Barri zieht der 50-Jährige durch die Welt, um seine Solowerke live aufzuführen. Diese unterscheiden sich vom Radiohead-Sound - auch auf «Anima», dem jetzt erschienenen dritten Yorke-Studioalbum, einer betörenden, manchmal auch anstrengenden Elektropop-Mixtur.

Zwar war das 1985 gegründete Gitarrenrock-Quintett aus Oxford nach einem der atemberaubendsten Stil-Schwenks der Pophistorie mit den Alben «Kid A» (2000) und «Amnesiac» (2001) selbst zur elektronischen Musik konvertiert. Doch so konsequent wie Thom Yorke in seinem Soloschaffen waren Radiohead am Ende nicht. Das wunderschöne «A Moon Shaped Pool» (2016) etwa markierte eine Rückkehr zum Songformat und verschaffte der Band wieder einen Nummer-eins-Hit im heimischen Grossbritannien.

Das weniger auf Gefälligkeit zielende «Anima» geht einher mit einem gleichnamigen, bei Netflix abrufbaren Video des Oscar-dekorierten Regisseurs Paul Thomas Anderson («Magnolia», «There Will Be Blood»). Darunter macht es der in seinem künstlerischen Anspruch durchaus zur Eitelkeit neigende Yorke offenbar nicht. Drei der neun Albumtracks tauchen in dem Kurzfilm auf.

Wer nun - nach einer kurzfristigen digitalen Vorab-Veröffentlichung Ende Juni - das ganze Werk auf CD oder Vinyl hört, wird sich der Sogkraft dieser Laptop-Musik kaum entziehen können. Wie schon auf seinem teilweise orchestralen Soundtrack für den Horrorfilm «Suspiria» im vergangenen Jahr legt es Yorke kaum auf zugängliche Melodien mit Strophe und Refrain an, sondern auf verschachtelte Klanggemälde.

Bis auf wenige Schlagzeugpassagen von Top-Studiodrummer Joey Waronker und Radiohead-Kumpel Phil Selway wird hier praktisch alles mit modernster Elektronik erzeugt. Über dem Geknister und Gedröhne, den Stolper-Beats, Loops und Soundeffekten liegt schliesslich dieser hohe, klagende, anrührende Yorke-Gesang. Die Texte bleiben meist kryptisch.

Gleichwohl sind diese Tracks - ungeachtet ihrer komplizierten Struktur - insgesamt einnehmender als auf den beiden ersten Soloalben des Radiohead-Frontmannes («The Eraser» von 2006 und «Tomorrow’s Modern Boxes» von 2014). Besonders die ätherische Ballade «Dawn Chorus», das von einem unwiderstehlichen Bass-Groove angetriebene «Impossible Knots» und das mit afrikanischen Wüstenblues-Versatzstücken jonglierende «Runwayaway» stechen hervor.

Radiohead haben sich trotz längerer Funkstille bisher nicht aufgelöst - obwohl von einer solchen quasi unausweichlichen Entscheidung seit Jahren gemunkelt wird, weil die Band alles erreicht und ausprobiert habe. Klar ist aber auch, dass zumindest ihr Sänger mit seinen ambitionierten Soloalben und auch Gitarrist Jonny Greenwood als etablierter Hollywood-Soundtrack-Komponist längst fest auf eigenen Füssen stehen. «Anima», ein kleines Wunderwerk des Elektropop, unterstreicht erneut Thom Yorkes spannende Weiterentwicklung - und seine Ausnahmestellung.

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