ESC-Sieger Sobral hat Spass am Experimentieren
Salvador Sobral ist in der Musikwelt ein Unikat. Der Portugiese liess sich auch vom Sensationserfolg beim Eurovision Song Contest 2017 nicht blenden und geht drei Jahre danach unbeirrt seinen Weg. Das beweist er mit seinem dritten Album.
Das Wichtigste in Kürze
- Vor unerforschten Pfaden hat Salvador Sobral keine Angst.
Das stellt der Sieger des Eurovision Song Contest 2017 auf seinem neuen Album «Alma Nuestra» einmal mehr, aber wohl so deutlich wie nie zuvor in seiner noch jungen Karriere unter Beweis.
Mit leisen Rap-Tönen, viel Latin-Jazz und etwas Folk haucht der Portugiese acht Boleros und auch einem Tango, die alle selbst daheim in Lateinamerika etwas in Vergessenheit geraten sind, neues, faszinierendes Leben ein.
Der 30-Jährige ist nicht nur mutig, sondern auch bescheiden. «Das ist eigentlich gar nicht mein Album, das ist das der Band Alma Nuestra, mit der ich schon seit vielen Jahren singe», erklärte Sobral im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur. Die Zusammenarbeit mit der dreiköpfigen Gruppe um den Pianisten Víctor Zamora begann lange vor dem ESC-Triumph, als Sobral im «Hot Clube de Portugal», dem ältesten Jazz-Lokal Lissabons, den Kubaner kennenlernte.
Demjenigen, der denkt, er habe musikalisch schon alles gehört und erlebt, ist «Alma Nuestra» besonders zu empfehlen. Wenn Sobral zu singen beginnt - auf seinem dritten Album tut er es übrigens erstmals ausschliesslich auf Spanisch - dann verschmelzen alle Erwartungen, Vorstellungen und Vorurteile, alle Kategorien, Genres und Traditionen zu einer Neuentdeckung, zu einem Erlebnis der ungewöhnlichen Art.
Beim in Lateinamerika schon fast mythischen Song «Tú mi delirio» des kubanischen Komponisten César Portillo de la Luz (1922-2013), dessen Themen in den vergangenen knapp 70 Jahren von so unterschiedlichen Grössen wie Nat King Cole, Frank Sinatra, Christina Aguilera oder Plácido Domingo interpretiert wurden, feiert die Experimentierfreude Hochkonjunktur.
Sicher, dem einen oder anderen Musikpuristen wird es tief in der Seele schmerzen, wenn Sobral nach gut drei Minuten zu rappen anfängt. Die meisten werden aber wohl zu dem Schluss des spanischen Musikportals «No solo Fado» kommen: «Wunderbar!»
Sobral, der beim Telefoninterview schon mal den Max-Raabe-Hit «Kein Schwein ruft mich an» trällert, von der Hamburger Elbphilharmonie schwärmt und das Publikum in Nürnberg als «besonders begeisterungsfähig» lobt, wird auch in Zukunft neue Pfade erforschen. Und sich dabei gleichzeitig treu bleiben. Sprich: Experimentieren, viel und furchtlos experimentieren.
Schon im Januar will der frühere Psychologie-Student, der auf der Bühne und auch im Studio seine Gefühle und seine Leidenschaft grosszügig wie kaum ein Zweiter preisgibt, sein viertes Album aufnehmen.
Wie er verriet, hat er für dieses neue Projekt während des Pandemie-Lockdowns daheim im Lissabonner Viertel Ajuda erstmals alle Lieder selber geschrieben. Die Musik und die Texte. «Ich dachte, dass ich ein viel, viel besserer Sänger als Komponist bin. Das denke ich immer noch. Aber Corona hat mich irgendwie inspiriert.» Ein Freund in Barcelona, Leo, habe ihm dabei aus der Distanz geholfen.
Der ganz junge Salvador hatte unter anderem für Stevie Wonder, Chet Baker und Hip-Hop geschwärmt, aber mit 28 Jahren entdeckte er Jacques Brel, und seitdem hat er den 1978 verstorbene Franzosen zu seinem persönlichen Helden gemacht, dem er nun auch ein bisschen und respektvoll nacheifert. Brel sei «ein Kunstwerk für sich», so Sobral. «Was gibt es Schöneres, als über dein eigenes Leben zu singen? Das will ich in Zukunft nach Möglichkeit auch machen.»
Auf die Verkaufszahlen will der Portugiese auch in Zukunft nicht schielen. «Nach dem Sieg beim ESC haben mich alle gemocht, jetzt ist mein Publikum kleiner geworden, aber das mag mich wegen meiner Arbeit und kennt mich inzwischen sehr gut.» Kommerzielle Zugeständnisse werde er niemals machen. «Wichtig ist, dass ich meine Arbeit mag, dass ich ehrliche Musik mache und mich dabei gut fühle.» Und wenn er plötzlich keine Platten mehr verkauft? «Dann gehe ich wie mit 20 Jahren wieder nach Mallorca und tingele wie damals durch die Bars.»
Der Sprössling einer portugiesischen Adelsfamilie, der Berichten zufolge auch deutschen Vorfahren hat, darunter Karl I. von Hohenzollern, hat, wie er mit leiser aber fester und überzeugender Stimme beteuert, «schon das Schlimmste durchgemacht». «Schlimmer kann es nicht kommen.»
Gemeint sind die Todesängste, die er viele Jahre lang aufgrund eines Herzproblems ertragen musste. Ein gutes halbes Jahr nach dem Sieg in Kiew mit der zarten Jazz-Ballade «Amar Pelos Dois» (Liebe für zwei) unterzog er sich einer komplizierten und erfolgreichen Herztransplantation. Die war nicht nur für seine Gesundheit gut. «Ich würde nie so singen, wie ich heute singe, wenn ich nicht diese Krankheit durchgemacht hätte.»