TV-Abend statt Kneipenbesuch: «Game of Thrones» als Event
Jeden Montag kommen derzeit viele Freunde zusammen, um gemeinsam «Game of Thrones» zu gucken. Das stärkt nicht nur die Gemeinschaft, sondern hilft auch bei allzu grosser Spannung.
Das Wichtigste in Kürze
- Leipzig (dpa) - «Oh Nein», flüstert Fernando leise und macht grosse Augen.
Jannik und seine Freundin halten sich an den Händen. Es ist mal wieder ein emotionales und trauriges Ende, das die «Game of Thrones»-Macher ihren Fans Anfang der Woche präsentieren.
Ein Fanliebling stirbt, das lässt auch Fernando und Co. nicht kalt. Der Freundeskreis aus Leipzig schaut die neuen Folgen der beliebten Fantasy-Saga stets zusammen - und ist damit nicht allein.
«Das ist ein sehr verbreitetes Phänomen, vor allem unter jungen Fernsehzuschauern», sagt Kommunikationswissenschaftlerin Arne Freya Zillich von der Universität Jena. Sie hat zu dem Thema «Fernsehen als Event» 2012 promoviert und monatelang «Tatort»-Fans beim Public Viewing in Kneipen beobachtet.
Häufig würden junge Menschen wegen ihres Berufs, Studiums oder der Ausbildung in andere Städte ziehen. «Durch das gemeinsame Fernseherlebnis, das sie von früher aus der Familie kennen, wird aus einer alltäglichen Tätigkeit ein soziales Ereignis.»
Die sieben Bekannten aus Leipzig - Medizinstudenten, Doktoranden und Biologen - sind allesamt zugezogen und kennen sich teilweise nur über mehrere Ecken. Durch ihre wöchentlichen «Game of Thrones»-Abende mit Bier, Wasser und Snacks fühlen sie sich miteinander verbunden.
«Es hat einen gewissen Event-Charakter, als würde man sich einmal in der Woche zum Kino verabreden», erläutert Neurobiologe Andreas Ritzau-Jost (29). «Während eine neue Staffel läuft, haben wir ein gemeinsames Thema, über das wir auch bei der Arbeit viel reden.»
Die Seriengucker treffen sich meist am Montagabend. Eine Nacht zuvor stellt der deutsche Pay-TV-Sender Sky die neuesten US-Episoden online, die dann jederzeit abrufbar sind. Wer kein Abo hat, kann sich monatsweise für zehn Euro einbuchen. Viele Gruppen teilen sich die Ausgabe.
«Es ist schon cool, sich mit anderen zu versammeln. Es ist ganz einfach spannender, als alleine zu schauen. Da würde gar nicht so die Stimmung aufkommen», erklärt Jannik Büttner (24). Der Student sitzt während der 75-minütigen Folge mit seiner Freundin auf dem Fussboden - für so viele Personen ist das kleine Wohnzimmer eigentlich nicht ausgelegt.
Neben dem sonntäglichen «Tatort» und grossen Fussballspielen eigne sich gerade die preisgekrönte US-Serie mit ihren undurchsichtigen Machtspielen zum gemeinsamen Gucken, sagt Wissenschaftlerin Zillich. «Ein ganz zentrales Element ist das Miträtseln und Spannungserleben. Wie könnte es weitergehen? Warum handelt der Charakter so? Ist das ehrlich oder eine neue Intrige?»
Dazu kommt: Wenn ein Charakter überraschend stirbt, kann das ein echtes Gefühlschaos beim Zuschauer auslösen. Wer solo schaut, muss mit seinen Emotionen allein klarkommen. «Wenn es zu spannend wird, ist das Schauen in der Gruppe auch eine Möglichkeit, die Spannung zu reduzieren. Indem andere dabei sind und die Szene kommentieren, fühlt man sich selbst entspannter», meint die Wissenschaftlerin aus Jena. Geteiltes Leid, ist halt halbes Leid.
Und so wird derzeit sicher nicht nur in vielen Studenten-WGs die finale Schlacht um den «Eisernen Thron» verfolgt. Im Internet gibt es unzählige Videos davon, wie Zuschauergruppen auf bestimmte Szenen reagieren. Sie weinen, lachen und feuern die Charaktere an.
In einer Bar in Chicago werden die Besucher beim gemeinsamen «Game of Thrones»-Schauen ebenfalls gefilmt. Bei einer entscheidenden Szene der aktuellen Staffel rasten die Fans derart aus, als ob sie gerade den Siegtreffer im WM-Finale bejubeln.
In der Leipziger «Game of Thrones»-Gruppe ist es allerdings die meiste Zeit über gespenstisch still. Zu viel reden ist beim gemeinschaftlichen Serien-Erlebnis in der Regel verpönt. Mehr als ein «So süss» und der ein oder andere Lacher kommt den sieben Fans nicht über die Lippen.
Dafür wird nach dem Abspann kräftig diskutiert. «Damit hätte ich nicht gerechnet», sagt Biologin Isabell über eine Liebesszene. «Es gab überraschend viel Comedy heute», findet Gastgeber Fernando.
Noch zwei Episoden - dann endet nach acht Staffeln das Fantasy-Epos. Und damit für viele auch das wöchentliche Fernseh-Event. Und dann? «Dann müssen wir wieder in die Kneipe Bier trinken», lacht Andreas. Zu diskutieren gibt es sicher auch ohne «GoT» genug.