Peter Handke und die hitzige Nobelpreisdebatte
Die Nobelpreisvergabe an den Schriftsteller Peter Handke hat eine Debatte ausgelöst, die sich die Schwedische Akademie gerne erspart hätte. Nun begrüsst sie den Österreicher erstmals vor der Preisverleihung in Stockholm. Zugleich machen sich Handke-Kritiker zum Protest bereit.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Weihnachtsmarkt auf dem Stortorget vor dem Sitz der Schwedischen Akademie in Stockholm verfügt über das Maximalmass an skandinavischer Winterbesinnlichkeit.
Wenn der Literaturnobelpreisträger Peter Handke an diesem Freitag - seinem 77. Geburtstag - zur Pressekonferenz in die Akademie in der Stockholmer Altstadt kommt, dann dürfte dieser Platz der schwedischen Glögg-Seligkeit auf seinem Weg liegen. Ein entspannter Auftritt steht dem Österreicher aber ganz und gar nicht ins Haus - im Gegenteil.
Die Debatte um die Nobelpreisvergabe an Handke hat weit über Schweden hinaus den literarischen Herbst bestimmt. Scharfe Kritik gab es nicht nur vom gebürtig aus Bosnien stammenden Schriftsteller Saša Stanisic, dem diesjährigen Preisträger des Deutschen Buchpreises. Grund für all das ist Handkes polarisierende Haltung zum Jugoslawien-Konflikt: Er hatte sich stark mit Serbien solidarisiert und nach Ansicht von Kritikern die von Serben begangenen Kriegsverbrechen bagatellisiert oder geleugnet. 2006 hielt er bei der Beerdigung des sechs Jahre zuvor gestürzten serbischen Führers Slobodan Milosevic eine Rede.
All das mündet nun in die in diesen Tagen beginnende Nobelwoche. Mit ihr ist das übliche Brimborium um die Preisträger verbunden: eine Pressekonferenz hier, eine Lesung da, einige Ausgezeichnete dürfen gar mit Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS telefonieren. Das Ganze kulminiert am 10. Dezember, dem Todestag von Preisstifter Alfred Nobel, in einer pompösen Preisübergabe - zu der parallel Proteste gegen Handke angekündigt sind.
Eine Reihe von Organisationen um die Gesellschaft für bedrohte Völker forderte das Nobelkomitee der Schwedischen Akademie auf, Handke dazu zu bringen, sich öffentlich bei den Opfern des Völkermordes von Srebrenica und Bosnien zu entschuldigen. Wenn er nicht zu einer Entschuldigung bereit sei, solle das Komitee darauf bestehen, dass er auf den Preis verzichte. Ob sich nun bereits zur Handke-Pressekonferenz am Freitag Menschen aus Protest vor der Akademie - neben besagtem besinnlichen Weihnachtsmarkt - versammeln werden, ist bislang unklar.
Andere verstehen nicht, warum der Schriftsteller in diesem Masse an den Pranger gestellt wird. In einem Offenen Brief formulierten in Österreich im November rund 120 Autoren, Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Künstler ihr tiefes Unbehagen darüber. Die Kritik an Handke habe «längst den Boden vertretbarer Auseinandersetzungen unter den Füssen verloren», hiess es dort. «Sie besteht fast nur noch aus Hass, Missgunst, Unterstellungen, Verzerrungen und ähnlichem mehr, sie ist zu einer Anti-Handke-Propaganda verkommen.»
Der kritisierte Preisträger selbst gab sich vermehrt dünnhäutig, schweigen tat er aber nicht. In einem Interview der Wochenzeitung «Die Zeit» sagte er, es sei um «Gerechtigkeit für Serbien» gegangen. «Kein Wort von dem, was ich über Jugoslawien geschrieben habe, ist denunzierbar, kein einziges. Das ist Literatur», betonte Handke. Sympathien habe er niemals für Milosevic geäussert. «Ich habe mich keinen Augenblick verbeugt, weder innerlich noch äusserlich.»
Der Zerfall Jugoslawiens zu Beginn der 1990er Jahre war mit einer Serie von äusserst blutigen Kriegen zwischen Serbien und anderen Nachfolgestaaten einhergegangen. Allein in Bosnien gab es 100 000 Tote und zwei Millionen Vertriebene. Auch wenn alle Seiten Kriegsverbrechen begingen, belegen Erkenntnisse der Zeitgeschichtsforschung sowie die Rechtssprechung des Internationalen Jugoslawien-Tribunals in Den Haag, dass die Kriege von Milosevic geplant und initiiert wurden, dass die meisten und schwersten Gräuel auf das Konto seiner Kriegsmaschinerie gingen.
Unbestritten ist der nahe Paris lebende Handke mit seiner poetischen Sprache und dem Umfang seines Werks wohl der wichtigste und prominenteste lebende Schriftsteller Österreichs. Über 11.400 Seiten enthält die vom Suhrkamp Verlag herausgegebene «Handke Bibliothek», in der alles enthalten ist, was er je in Buchform veröffentlicht hat.
Seine grossen Beiträge zur Literatur unterstrich auch die Schwedische Akademie bei der Doppel-Bekanntgabe der Preisträger für 2018 und 2019, die Polin Olga Tokarczuk und Peter Handke. Letzterer habe sich seit seinem 1966 erschienenen Debütroman «Die Hornissen» mit Werken in verschiedenen Genres als einer der einflussreichsten Schriftsteller der europäischen Nachkriegszeit etabliert, sagte der Vorsitzende des Nobelkomitees, Anders Olsson, bei der Bekanntgabe. Mit seinem Werk habe Handke «mit linguistischem Einfallsreichtum die Peripherie und die Spezifität der menschlichen Erfahrung erforscht».
Seitdem wird debattiert, inwieweit ein Schriftsteller getrennt von seinem Werk betrachtet werden kann. Die schwedische Zeitung «Dagens Nyheter» schlussfolgerte: «Ein literarischer Preis legitimiert immer den Schriftsteller.» Das sieht Elfriede Jelinek, die österreichische Literaturnobelpreisträgerin von 2004, anders. «Der grosse Dichter Handke hat den Nobelpreis zehnmal verdient», sagte sie «news.at». Für sie zähle dabei nur eines: die literarische Qualität.
Der schwedische Autor Kristoffer Leandoer, der am Montag aus anderen Gründen als externes Mitglied des Nobelkomitees zurücktrat, schrieb: «Wenn Literatur nicht der Ort sein darf, an dem wir uns trauen, dem Unbequemen und Fremden zu begegnen, sowohl in anderen als auch in uns selbst - was ist Literatur dann wert?» Für ihn gehörten Literatur und Politik zu einem grossen Teil zusammen. «Wir müssen mit den Wahrheiten anderer leben können, ohne auf unsere eigene zu verzichten.»
Die Schwedische Akademie musste derweil einige neue Breitseiten gegen sich ergehen lassen - dabei wollte sie nach dem Skandaljahr 2018 eigentlich stressfrei(er) in die Zukunft blicken. Man versucht nun, möglichst diplomatisch durch das Spannungsfeld zwischen literarischer Qualität und politischer Kontroverse zu tapern. «Nobelvorlesungen und -pressekonferenzen erzeugen immer grosse Aufmerksamkeit», hiess es von der Akademie vor Handkes Auftritten in Stockholm lediglich.
Bleibt bei all dem Handke-Trubel überhaupt noch Zeit, um sich auf die weitere Literaturnobelpreisträgerin zu konzentrieren? In Olga Tokarczuks Heimatland Polen ist jedenfalls nichts davon zu spüren, dass die 57-Jährige im Schatten von Handke stünde. Die Polen feiern ihre Preisträgerin, schon Stunden nach der Verkündung waren ihre bekanntesten Bücher ausverkauft. «Die gesamte Aufmerksamkeit konzentriert sich auf Olga Tokarczuk», sagt die Literaturkritikerin Justyna Sobolewska vom Magazin «Polityka». Das liege auch daran, dass es keine neueren Übersetzungen von Handkes Werken ins Polnische gebe. Dass die Debatte um Handke Tokarczuk in den Schatten stellen werde, daran glaubt Sobolewska nicht. «Nobelpreis ist Nobelpreis.»