Rebellische Designerin: Vivienne Westwood wird 80
Bevor sie in Paris und Mailand die Models auf den Laufsteg schickte, gab sie in London dem Punk seinen Look. Statt über alte Zeiten zu sprechen, engagiert sich Vivienne Westwood lieber für den Klimaschutz.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Gedanke, dass anlässlich ihres runden Geburtstags auf ihr Leben und ihre Karriere zurückgeblickt wird, dürfte Vivienne Westwood ein Graus sein.
«Müssen wir das alles besprechen», meckerte sie schon in dem sehenswerten Dokumentarfilm «Westwood: Punk, Icon, Activist» (2018).
«Das ist so langweilig.» Stimmt natürlich nicht. Langweilig war kaum etwas in Westwoods Leben. Aber statt über ihre Vergangenheit zu sprechen, richtet die Mode-Anarchistin und Aktivistin, die am 8. April 80 Jahre alt wird, die Aufmerksamkeit lieber auf ihre politischen Anliegen.
So sorgte sie im vergangenen Jahr mit dem Protest für die Freilassung von Wikileaks-Gründer Julian Assange für Aufsehen. Im knallgelben Outfit sass sie vor einem Gerichtsgebäude in London in einem überdimensionalen Vogelkäfig. «Ich bin Julian Assange!», rief sie vor Journalisten und Demonstranten in ihr Megafon und: «Die Welt ist korrupt!». Sie schien sich in der Rolle zu gefallen.
Seit langem engagiert sich die Britin mit der blassfahlen Haut für Menschenrechte, Frieden, Tierschutz und gegen den Klimawandel. Die grosse Show gehört stets dazu, wenn sich Westwood inszeniert, denn sie garantiert ihr Aufmerksamkeit. 2015 liess sie sich in einem weissen Panzer zum Privathaus des damaligen britischen Premiers David Cameron fahren, um gegen Gasgewinnung durch Fracking zu protestieren.
Das politische Statement war und ist auch fester Bestandteil ihrer Mode - gelegentlich zum Leidwesen ihres Ehemannes und Co-Designers Andreas Kronthaler, wie in der Westwood-Doku von Regisseurin Lorna Tucker deutlich wird. «Sie mag es, wenn die Kleidung eine Botschaft hat», so Kronthaler, «was ich gut finde, oder nicht gut. Ich bin mir nicht sicher.» Seit fast 30 Jahren ist Westwood mit dem 25 Jahre jüngeren Österreicher, ihrem ehemaligen Modestudenten, verheiratet.
Mode allein war Westwood nie genug. Eine Karriere in der Branche hatte sie gar nicht im Sinn. «Ich wollte keine Modedesignerin sein», stellte sie 2009 im «Time»-Magazin klar. «Ich wollte lieber lesen und intellektuelle Dinge machen.» Dabei hatte die Tochter eines Schuhmachers und einer Baumwollspinnerin schon als Kind ein Händchen für Mode gezeigt. Westwood, die 1941 als Vivienne Isabel Swire in der Gemeinde Tintwistle nahe Manchester geboren wurde, soll sogar an ihrer Schuluniform modische Änderungen vorgenommen haben.
Im Teenageralter zog sie mit ihren Eltern und Geschwistern in die Nähe von London. Ein Kunststudium brach sie nach nur einem Semester ab, um eine Ausbildung zur Lehrerin zu machen - mit Kunst als Hauptfach. Ihr Plan: «Ich werde versuchen, Künstlerin zu werden. Und wenn ich keine Künstlerin sein kann, werde ich Lehrerin.»
Zunächst lernte sie Derek Westwood kennen, mit dem sie Sohn Ben bekam. Die Ehe hielt nur zwei Jahre. Aus der anschliessenden Beziehung mit dem jungen Kunststudenten Malcolm McLaren, dem späteren Manager der Sex Pistols, ging ihr zweiter Sohn John hervor. McLaren brachte ausserdem eher zufällig Westwoods Fashion-Karriere auf den Weg.
Mit ihm eröffnete sie 1970 auf der Londoner King's Road den Laden «Let it Rock» für Schallplatten und von ihr entworfene Mode. Die Boutique wechselte Namen und Stil mehrfach, bot zeitweilig als «SEX» gewagte S&M-Mode an, und heisst seit 1979 bis heute «World's End». In den 70er Jahren war sie ein Treffpunkt der Punk-Szene und gilt auch als Gründungsort der Sex Pistols. Westwood kreierte die ersten Outfits für Johnny Rotten und Co. mit Sicherheitsnadeln, Netzhemden und Nietenarmbändern - und erschuf damit den ikonischen Punk-Look.
«Ich hab mich überhaupt nicht als Modedesignerin betrachtet, aber ich habe festgestellt, dass ich sehr talentiert war», erzählt Westwood in Tuckers Dokumentation. «Ich wollte, dass die Leute wissen, dass das Zeug, was sie auf dem Laufsteg in Paris sehen, von mir kommt. Und ich hab mir gedacht, ich muss in diese Geschäftswelt einsteigen und die Kleidung wirklich verkaufen, sie den Journalisten präsentieren und eine Modedesignerin sein. Mir war klar, dass ich das kann.»
Nachdem Westwood in der Heimat anfangs belächelt und im Fernsehen noch in den späten 80ern sogar ausgelacht worden war, wurde sie 1990 und 1991 als Britische Designerin des Jahres ausgezeichnet. 2006 wurde sie von Queen Elizabeth II. geadelt. Während Dame Vivienne im Herzen immer noch Punk ist, gehört ihre Mode längst zum Establishment. Prinzessin Eugenie erschien zur Hochzeit von William und Kate 2011 in einem Westwood-Kleid. Selbst die frühere Premierministerin Theresa May trug einen Hosenanzug von ihr.
Mit der geschäftlichen Seite hadert Westwood, die in den 80er Jahren fast pleite war, jedoch bis heute. «Qualität statt Quantität» lautet ihr Mantra. Die Expansion ihres Unternehmens, das sich als «eines der letzten unabhängigen Modehäuser» bezeichnet, gefährdet das. «Ich laufe Gefahr, nicht mehr alles ordentlich kontrollieren zu können», klagt sie. «Und ich muss definitiv nichts verkaufen, das mir nicht gefällt.» Damit treibt die nicht gerade zimperliche Westwood ihre Angestellten manchmal zur Verzweiflung, wie im Film deutlich wird.
Eigensinnig und unbequem ist Dame Vivienne auch, wenn es um den Klimaschutz geht. «Climate Revolution» heisst ihre Website, eine Mischung aus Politblog und Tagebuch im Punkdesign. «Ich bin die einzige Person mit einem Plan, um die Welt vor dem Klimawandel zu retten», verkündete sie kürzlich in einer Videobotschaft. Einmal pro Woche veröffentlicht sie auf ihrem Youtube-Kanal solche Ansprachen, die meistens etwas schrullig wirken. Nähere Details dieses Plans bleibt sie schuldig. Aber Vivienne Westwood ist es ernst.
Mit «Westwood: Punk, Icon, Activist» war sie am Ende übrigens nicht zufrieden und distanzierte sich ausdrücklich davon. Regisseurin Tucker, die sie drei Jahre lang begleitet hatte, habe zu viel Archivmaterial gezeigt und zu wenig über ihr politisches Engagement berichtet, moserte Westwood und beendete die Freundschaft. Tucker verteidigte ihren Film, blieb aber diplomatisch. «Sie hat mich inspiriert wie niemand anders, mit dem ich je gearbeitet habe», sagte sie dem «Sydney Morning Herald». «Also werde ich sie immer lieben.»