Wim Wenders

Wim Wenders über Geburtstage und seinen neuen Film

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Italien,

Beim Filmfest Venedig ist der deutsche Regisseur Wim Wenders an einer digitalen Gesprächsreihe beteiligt. Ein guter Anlass für ein Interview mit dem 75-Jährigen.

Wim Wenders bei der Hamburg-Premiere des Films "Desperado" im Zeise Kino. Foto: Markus Scholz/dpa
Wim Wenders bei der Hamburg-Premiere des Films "Desperado" im Zeise Kino. Foto: Markus Scholz/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Der deutsche Regisseur Wim Wenders war schon häufig Gast beim Filmfest Venedig - und ist auch in diesem Jahr involviert: Der 75-Jährige nahm an der digitalen Gesprächsreihe «Life Through a Different Lens: Contactless Connections» teil.

Die Reihe fand auf Einladung von Mastercard statt, offizieller Partner der diesjährigen Filmfestspiele Venedig. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa berichtet Wenders nun von seinem aktuellen Filmdreh, welche Leidenschaft er in Zeiten von Corona entdeckt hat und wie es war, kürzlich 75 Jahre alt zu werden.

Frage: Sie sind im August 75 Jahre alt geworden. Die Geburtstagsfeier ist wahrscheinlich etwas anders ausgefallen, als Sie sich das mal gedacht hatten?

Antwort: Im Grunde sind bei mir alle Feste erstens anders ausgefallen und zweitens als ich dachte. Ich mag sie mir einfach nicht vorher vorstellen. Das verdirbt alles. Ich will gerne bei den Geburtstagen meiner Frau an der Planung beteiligt sein oder bei anderen Familienmitgliedern, aber nicht bei meinen eigenen. Erträglich sind solche Geburtstage ausschliesslich dadurch, dass ich überrascht werde und für nichts daran verantwortlich bin. Das ist in diesem Jahr besonders gut gelungen. Ich habe ein Geschenk bekommen, von dem ich absolut nichts wusste, obwohl es echt viel Arbeit gemacht und Zeit in Anspruch genommen haben muss: ein grosses gebundenes Buch, für das ganz viele meiner Freunde und Mitarbeiter eine Geschichte geschrieben haben, eine Episode oder eine Situation, die wir gemeinsam erlebt hatten, mit einem Bild dazu.

Frage: Was fehlt Ihnen seit Beginn der Corona-Pandemie am meisten?

Antwort: Das Getrieben-Sein! Das schale Gefühl, keine Zeit für nichts mehr zu haben! Die bohrenden Zweifel, ob man nicht alles verpasst, worauf es ankommt! Die traurige Gewissheit, wieder einmal niemandem gerecht geworden zu sein! Das Hinter-allem-her-Hinken! Oder dass einem jemand auf die Schulter haut. Dass man sich bei einem Konzert durchschubst oder ständig angerempelt wird. Dass man bei einem Gottesdienst seinen Nachbarn die Hand reicht. Dass man im Kino die Leute in der Reihe vor einem auffordert, nicht ständig zu quatschen. Dass man sich gerade noch in den Bus quetscht, der einen vom Flugzeug zum Gate bringt. Dass man wie ein Idiot die verdammte Laola-Welle im Stadion mitmacht. All solche Sachen, bei denen man einer unter vielen ist.

Frage: Haben Sie in dieser Zeit eine neue Leidenschaft entdeckt oder wiederentdeckt?

Antwort: Das Faulenzen. Eine völlig neue verstörende Erfahrung: In den Himmel zu gucken und den Schwalben zuzuschauen! Naja, als Berufskrankheit musste ich sie dann auch gleich filmen, wenn auch nur mit dem iPhone... Jeden Abend einen Film zu gucken. Briefe zu schreiben. Die Ende März neu herausgekommene Single von Bob Dylan «Murder Most Foul» so oft zu hören, bis ich sie mitsingen konnte wie seinerzeit «Just like a Woman» oder «Subterranean Homesick Blues»...

Frage: Sie drehen gerade wieder. Können Sie dazu ein bisschen erzählen: was und wo genau?

Antwort: Eigentlich ziehe ich es vor, mich dazu in Schweigen zu hüllen. Ganz einfach, weil ich mir oft denke, dass es viel besser wäre, ein Film käme raus und niemand hätte je davon gehört. Ich gehe auch selber am liebsten in Filme, von denen ich überhaupt nichts weiss... Gleichzeitig mache ich diesen Film auch nicht heimlich, also kann ich es auch erwähnen: Das ist eine Langzeitbeobachtung der Arbeit eines Architekten, des Schweizers Peter Zumthor. Dessen Arbeit bedeutet mir sehr viel. Ich begleite zwei seiner wohl wichtigsten Bauten von ihrer Entstehung an, den Neubau des LACMA Museums in Los Angeles und die Erweiterung des wunderschönen Gebäudes der Fondation Beyeler (von Renzo Piano) in Basel um einen zusätzlichen grossen neuen Ausstellungsbau. Ausserdem werden wir im Lauf der Zeit alle Bauten von Peter Zumthor besuchen. So viel hat er nicht gebaut, er war immer äusserst streng und sparsam in seiner Auswahl und hat nur gebaut, wovon er überzeugt war, dass es das notwendig geben musste.

Frage: Was ist bei diesem Dreh in Coronazeiten die grösste Umstellung für Sie?

Antwort: Die vermaledeiten Masken. Sie sind der Tod jeder Ironie. Niemand sieht, ob eine oder einer bei einer Frage oder Antwort lächelt. Eigentlich muss man das jetzt dazusagen: «Das habe ich nicht so gemeint...» oder: «Wenn Sie doch nur bloss sehen könnten, dass ich Sie gerade anlächele...» Überhaupt kommt schnell schlechte Laune auf, weil einer, der wie ich ohnehin nuschelt, jetzt noch weniger verstanden wird. Weil ich gleichzeitig vom Tragen der Masken überzeugt bin und dies für einen Akt von Menschenfreundlichkeit, Brüderlichkeit und Gleichheit halte, bemühe ich mich jetzt ganz besonders um eine klarere Diktion. Wenn auch nur winzige Randerscheinungen der Pandemie, aber immerhin: Man kann sich nicht mehr auf ein Lächeln verlassen und man muss deutlicher reden.

Frage: Wann soll der Film in die Kinos kommen?

Antwort: Das «wann» ist leider nicht das einzig Unwägbare an Ihrer Frage... Ich weiss nur eins, nämlich «ob» der Film ins Kino soll. Natürlich, unbedingt! Es gibt kein schöneres Erwachen eines Films als in einem Kinosaal, von vielen hundert Augenpaaren gleichzeitig gesehen. In diesem Falle trügen sie alle auch 3D-Brillen. Aber: Wann ist das wieder möglich, so wie früher, ohne leere Reihen dazwischen? Und können die Kinos so lange durchhalten? Und was ist bis dahin aus unserer Gesellschaft geworden? Haben die Durchgeknallten dann eine Parlamentsmehrheit? Und sind bis dahin nicht andere Umstände so dringlich geworden, dass wir dann alle auf die Barrikaden müssen, statt ins Kino gehen zu können? «Mondays to Fridays for Future»?

Frage: Corona stellt gerade vieles auf den Kopf, auch im Kinobereich. Wie wird sich die Kinobranche verändern, verändern müssen?

Antwort: Freiluftkinos, Autokinos, Unterwasserkinos, Brandwändekinos, Wolkenkinos, Matterhornkino, Brandenburger Tor-Kino und so weiter. Sollte sich «das Kino» als Institution nicht halten können, wird es aller Wahrscheinlichkeit nach irgendwann wieder erfunden. Dann kommt einer und schlägt Folgendes vor: «Stellt euch vor: Menschen gehen in einen grossen Raum, sie setzen sich, es wird dunkel, dann beginnt eine Erzählung mit gewaltigen Bildern und Tonwelten, die alle zum Träumen bringen, die davor sitzen. Die Menschen weinen vor Glück, so etwas gemeinsam erleben zu dürfen. Sie werden sich selbst und ihre Welt endlich wieder verstehen und ertragen...» Boah! Tolle Idee!

Frage: Wie gelingt es, die Menschen wieder ins Kino zu holen, nachdem sie so lange Fernsehen und Streamingdienste genutzt haben?

Antwort: In Ihrer Frage klingen «Fernsehen und Streamingdienste» fast wie Strafen, wie Zeiten, die man absitzen muss, bis man wieder in die Freiheit entlassen wird. (lacht) Da ist ja auch was dran. Gleichzeitig habe ich selbst auch gerade erfahren, wie schön es sein kann, dass zum Beispiel der NDR in Kooperation mit der ARD und der Wim Wenders Stiftung im Rahmen einer Werkschau zu meinem 75. Geburtstag 28 meiner Filme in ihrer Mediathek zur Verfügung stellt. Da können die Leute nach Herzenslust drin herumsuchen. Und hoffentlich bei dem einen oder anderen Film hängenbleiben...

ZUR PERSON: Wim Wenders ist einer der bedeutendsten deutschen Regisseure. Der 75-Jährige drehte im Laufe seiner langen Karriere Dokumentationen wie «Buena Vista Social Club», «Pina» und «Das Salz der Erde». Wenders feierte aber auch mit seinen Spielfilmen international Erfolge, darunter «Paris, Texas» und «Der Himmel über Berlin». Der in Düsseldorf geborene Wenders wurde für seine Werke vielfach ausgezeichnet. Darüber hinaus arbeitet er als Fotograf und ist Präsident der Europäischen Filmakademie.

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