«Winterbergs letzte Reise»: Mit dem Zug in die Vergangenheit

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Deutschland,

In «Winterbergs letzte Reise», für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, rattert es unentwegt: Eisenbahnräder auf dem Weg durch Europa, Monologe eines fast Hundertjährigen und die Geschichte selbst.

Jaroslav Rudiš, tschechischer Schriftsteller, ist mit «Winterbergs letzte Reise» für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Foto: Peter Endig
Jaroslav Rudiš, tschechischer Schriftsteller, ist mit «Winterbergs letzte Reise» für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Foto: Peter Endig - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • «Winterbergs letzte Reise» rattert schon mit dem ersten Satz wie eine alte Eisenbahn los: ««Die Schlacht durch Königgrätz geht durch mein Herz», sagte Winterberg.» Das klinge doch wie der Takt eines Zuges, findet Jaroslav Rudiš, der selber leidenschaftlich gern mit der Bahn reist.

Es ist der erste Roman, den der Tscheche auf Deutsch geschrieben hat. «Ich lebe schon so lange zwischen den beiden Ländern und den beiden Sprachen - Deutsch ist für mich keine Fremdsprache mehr», sagt der 46 Jahre alte Autor und Dramatiker.

Um Deutschland und Tschechien geht es auch in Rudiš' 544 Seiten dickem Buch, das für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert ist. Doch «Winterbergs letzte Reise» geht noch viel weiter: Winterberg, der letzte Strassenbahnfahrer Westberlins, will nach Sarajevo. Er ist ein alter Mann, fast 100, «so alt wie die Tschechoslowakei». Und er ist eigentlich so krank, dass seine Tochter schon einen Altenpfleger angestellt hat, der ihn bis zum Tod pflegen soll. Doch Winterberg bricht diese «Überfahrt» ins Jenseits ab - und überzeugt den Pfleger, Herrn Kraus, mit einem Umschlag voller Geld, stattdessen mit ihm eine letzte Reise anzutreten.

Und so fährt das ungleiche Duo los, mit dem Zug, darauf besteht der Eisenbahn-Enthusiast Winterberg. Im Gepäck hat er einen Baedeker aus dem Jahr 1913, aus dem der Senior immer und immer wieder laut vorliest. Der dicke rote Reiseführer über die Donaumonarchie Österreich-Ungarn - die als Vielvölkerstaat eigentlich richtigerweise «Elbemoldaudonausaubosnamonarchie» heissen sollte, wie Winterberg sinniert, ist der rote Faden - durch das Buch, durch die Geschichte Europas, durch die Schicksale von Winterberg und Herrn Kraus.

Rudiš lässt den verwirrten alten Mann immer und immer wieder aus seinem Baedeker vorlesen. Winterbergs Monologe sind so aberwitzig wie faszinierend. Natürlich stimmt kaum noch eine Information aus dem Reiseführer. Niemand gibt in Österreich mehr Trinkgeld in Hellern. Europa hat sich fast 100 Jahre weiterbewegt. «Ja, ja, jetzt fahren wir kurz über Polen, Polen war hier früher natürlich nicht, so ist es, mit nichts wird in Europa so rangiert wie mit den Grenzen, so war es, so ist es, so wird es sein, ja, ja, manchmal denke ich, die Grenzen hier sind nur dafür da, dass man sie verschieben kann», sagt Winterberg.

Je weiter die Züge rollen und je mehr Winterberg aus seinem hoffnungslos veralteten Buch vorliest, umso mehr Geschichte und Geschichten bringt Rudiš an den Leser. Das kleine Reisegrüppchen verbindet die Herkunft. Der eine ist ein deutscher Böhme, der andere ein tschechischer - und daraus ergibt sich Vieles. Mit grosser Erzählfreude häuft Rudiš einen Geschichten-Berg aus Vergangenheit und Gegenwart an - und er schafft es, dass man «Winterbergs letzte Reise» einfach nicht abbrechen will.

2020 soll das Buch auch in seinem Geburtsland erscheinen, wie der Autor sagt. Dafür muss es ins Tschechische übersetzt werden. Aber nicht von ihm, betont Rudiš. «Das kann ich nicht!»

- Jaroslav Rudiš: Winterbergs letzte Reise. Luchterhand Verlag, München, 544 Seiten, 24 Euro, ISBN: 978-3-630-87595-8.

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