«Zwischen den Zeilen»: Drama mit Juliette Binoche
Versteckte Affären und langjährige Beziehungen, angeregte Diskussionen und wilde Debatten um die Zukunft des Buches. Mittendrin ein Schriftsteller, der zwar Bücher verkauft, doch kaum über die Runden kommt.
Das Wichtigste in Kürze
- Was passiert mit dem geschriebenen Wort in Zeiten der Digitalisierung, in Zeiten von Twitter und Blogs? Haben gedruckte Bücher da überhaupt noch eine Zukunft?
Fragen wie diesen spürt Olivier Assayas in seinem neuen, mit vielen komödiantischen Tönen angereicherten Film nach. Das internationale Kino kennt den Franzosen durch Werke wie «Personal Shopper» (mit Kristen Stewart und Lars Eidinger) und «Die Wolken von Sils Maria» (ebenfalls mit Eidinger).
Diesmal hat er sich mit Darstellern wie Juliette Binoche zusammengetan und nimmt uns mit ins französische Intellektuellenmilieu. Es sind aber nicht nur Fragen rund ums Verlagswesen, die Assayas hier umtreiben. Es geht auch um Zwischenmenschliches.
«Ich dachte, niemand liest mehr Bücher». Mit dieser, fast zu einer Art Leitmotiv werdenden Feststellung, beginnt ein Film, der sich voll und ganz einem Milieu verschrieben hat: das des Pariser Literaturbetriebs. Eine Diskussion folgt hier auf die andere. Mittendrin: der als Schriftsteller nur mässig erfolgreiche, aber recht bekannte Léonard (Vincent Macaigne). Freimütig bekennt Léonard, dass er ohne die Unterstützung seiner Frau (die für einen Politiker arbeitet) auf Sozialhilfe angewiesen wäre.
Zum Essen lässt er sich dann auch gern von seinem Verleger, dem so aparten wie undurchsichtigen Alain, einladen. Gekonnt umschiffen beide dabei die eigentliche Frage: Wird Alain Léonards neuen Roman veröffentlichen? Seit 20 Jahren an Alains Seite ist Selena, eine von Binoche mit Mut zur äusserlichen Wandlung verkörperte Schauspielerin. Seit Jahren unterhält Selena ausgerechnet mit Léonard eine Affäre. Aber auch Alain ist kein Kind von Traurigkeit: Schnell landet er mit der neuen Digitalisierungsbeauftragten seines Verlags im Bett.
In den ersten zehn Minuten des dialoglastigen Films fallen mehr Worte als in manch amerikanischem Durchschnitts-Eineinhalbstünder. Zuweilen ist die Diktion der Hauptfiguren von fast maschinengewehrartiger Schnelligkeit. Was teils fasziniert - allerdings nicht immer glaubwürdig ist. Fast atmet man etwas durch, als es nach rund einer Stunde in diesem Film mal nicht um die Zukunft des Schreibens, die Zukunft des Wortes geht, sondern schlicht und banal um: Fussball. Wenn auch nur sehr, sehr kurz.
Assayas nimmt jetzt ausserdem etwas Tempo raus, die Räume öffnen sich, die Bilder beginnen zu atmen, filmischer zu werden. Das Kleinteilige, das auf die Dauer Ermüdende der vielen, meist von Alkohol befeuerten Gesprächsrunden, die diesen Film prägen, es macht Platz für Zwischentöne und ruhigere Momente. Auch geht es nun endlich mal um die Figuren selbst, ihre Gefühle, ihre Sorgen.
Bei allen unbestreitbaren Stärken des 107-Minüters - darunter, nicht zuletzt, das charmant-unaufdringliche Spiel von Schauspielgrösse Juliette Binoche - präsentiert sich «Zwischen den Zeilen» alles in allem doch als etwas zu unentschlossene Mélange aus verfilmtem Feuilleton und einer, nicht gänzlich ernst zu nehmenden Beziehungskomödie. Einer Figur jedoch wie der des wuschelköpfigen Schriftstellers Léonard, dessen Ringen um Anerkennung in sich wandelnden Zeiten rührende Züge trägt, wünscht man etwas mehr an Ernsthaftigkeit, an Tiefe.
Die Fragen gleichwohl, die dieser Film verhandelt, sind von grosser Relevanz. Nicht nur für das geschriebene Wort und die Literatur. Auch die Kunstform Kino ja ist in vielerlei Hinsicht von der Digitalisierung betroffen und muss sehen, wo sie bleibt in Zeiten von Streaming-Diensten. Da passt es nur zu gut, dass sich ausgerechnet die Frau des Verlegers, die von Binoche gespielte Selena, als Hauptfigur einer Fernseherzählung verdingt.
Zwischen den Zeilen, Frankreich 2019, 107 Min., FSK ab 6, von Olivier Assayas, mit Guillaume Canet, Juliette Binoche, Vincent Macaigne