Der Nationalrat hat mit hauchdünner Mehrheit beschlossen, afghanischen Frauen weiter wie gehabt Asyl zu gewähren. SVP und FDP wollten die Regeln ändern.
Afghanische Frauen
Afghanische Frauen - AFP

Afghanische Frauen und Mädchen erhalten in der Schweiz in der Regel weiterhin Asyl. Die im Sommer 2023 eingeführte Asylpraxis bleibt bestehen. Der Nationalrat hat am Montag eine Motion abgelehnt, die den entsprechenden Entscheid rückgängig machen wollte.

Die grosse Kammer fällte ihren Entscheid mit hauchdünnem Mehr: nämlich mit 92 zu 91 Stimmen bei 10 Enthaltungen. Sie tat dies gegen den Willen einer knappen Minderheit der vorberatenden Kommission aus den Reihen von SVP und FDP.

Der Vorstoss des Zürcher SVP-Nationalrats Gregor Rutz ist damit vom Tisch. Allerdings ist eine andere Motion mit dem gleichen Anliegen noch im Ständerat hängig.

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hatte die Praxisänderung im Juli 2023 nach einer Empfehlung der Europäischen Asylagentur (EUAA) beschlossen. Die Lage für Frauen und Mädchen habe sich in Afghanistan seit der Machtübernahme der Taliban kontinuierlich verschlechtert, begründete es den Schritt. Die Grundrechte der Frauen seien stark eingeschränkt.

FDP scheitert in beiden Räten

Die SVP und die FDP wollten das SEM daraufhin zurückpfeifen, scheiterten damit aber zunächst in der Wintersession in beiden Räten. National- und Ständerat schickten im Dezember die entsprechenden Vorstösse zur Vorberatung an ihre Staatspolitischen Kommissionen.

gregor rutz
Gregor Rutz. - keystone

Rutz forderte konkret, entscheidend müsse sein, woher jemand in die Schweiz komme – und nicht die Nationalität. Ansonsten drohe eine Sogwirkung auf Personen, die bereits heute ausserhalb Afghanistans in sicheren Drittstaaten lebten.

Der Bundesrat hielt dem entgegen, Afghaninnen, die in den Drittstaat zurückkehren könnten, in dem sie sich zuvor aufgehalten hätten, erhielten auch nach der Praxisänderung kein Asyl.

SVP-Rat Rutz: «Es braucht eine gewisse Intensität der Verfolgung»

Diskriminierung sei nicht dasselbe wie ein juristisch relevanter Asylgrund, sagte Rutz. Es sei ein Unterschied, ob jemandem ein Ehrenmord drohe oder ob einer betroffenen Person aus religiösen Gründen die Ausübung eines bestimmten Berufs verwehrt werde.

«Alleine Frau zu sein und einen Pass zu haben, genügt nicht, es braucht eine gewisse Intensität der Verfolgung», so Rutz. Er warf der Bundesverwaltung vor, diese Differenz zu wenig zu beachten. Das SEM nehme hier eine unzulässige Neuinterpretation des Asylgesetzes vor. Betrachte man nur die Fälle, in denen ein materieller Entscheid gefällt worden sei, seien seit dem Sommer 2023 97 Prozent der Asylgesuche von Afghaninnen gutgeheissen worden.

Taliban
Die Taliban haben die Frauenrechte in Afghanistan massiv eingeschränkt. - Siddiqullah Alizai/AP/dpa

Die Praxisänderung habe sich angesichts der Lage in Afghanistan aufgedrängt, sagte Justizminister Beat Jans. Denn ein menschenwürdiges Leben sei für afghanische Frauen und Mädchen in deren Heimat nicht möglich. Weiterhin werde aber jedes Asylgesuch einzeln geprüft, hob er hervor.

SPK-N: Frauen werden in Afghanistan zahlreiche Grundrechte verweigert

Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats (SPK-N) beantragte der grossen Kammer mit 13 zu 12 Stimmen die Ablehnung der Motion Rutz. Frauen in Afghanistan würden zahlreiche Grundrechte verweigert, sie hätten quasi keine Zukunftsperspektive, argumentierte die Kommissionsmehrheit. Ihr Anspruch darauf, als Flüchtlinge anerkannt zu werden, ergebe sich sowohl aus dem Schweizer Recht als auch dem Völkerrecht.

Delphine Klopfenstein Broggini (Grüne/GE) gab als Kommissionssprecherin zu bedenken, das SEM müsse derartige Praxisänderungen vornehmen können, damit die Schweiz ihre internationalen Verpflichtungen einhalten könne.

Die Kommissionsminderheit wandte ein, die Praxisänderung führe zu mehr Asylgesuchen und mehr illegaler Sekundärmigration in die Schweiz. Zudem sei es ungerechtfertigt, dass auch Afghaninnen Asyl erhielten, die sich bereits vor der Machtübernahme der Taliban in der Schweiz befunden hätten.

Beat Jans sieht keine Sogwirkung

Jans wies die Darstellung zurück, dass sich aus der Praxisänderung eine Sogwirkung ergebe. Die beobachteten Veränderungen bei der Zahl der Asylgesuche von Afghaninnen seien einerseits saisonal bedingt. Andererseits gehe es dabei um vorläufig aufgenommene Frauen, die ihren Aufenthaltsstatus ändern lassen und den Flüchtlingsstatus erlangen wollten.

Eine Mehrheit fand am Montag eine zweite Motion zum Thema. Diese hatte die SPK-N erarbeitet und ohne Gegenstimme gutgeheissen. Demnach soll das SEM die neue Praxis mit verschiedenen flankierenden Massnahmen und Vorkehrungen ergänzen, etwa mit einer verpflichtenden Sicherheitsprüfung für nachziehende Ehepartner.

Der Bundesrat argumentierte ohne Erfolg, das Anliegen der Kommissionsmotion sei schon heute erfüllt. Der Vorstoss geht an den Ständerat.

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