Europa ignoriert Bersets Europaratskandidatur
Alain Berset ist offiziell auf dem Ticket für das Präsidium des Europarats. Was hätte die Schweiz wirklich davon, wenn er gewählt würde?
Das Wichtigste in Kürze
- Alain Berset hat intakte Chancen, als Generalsekretär des Europarats gewählt zu werden.
- Europäische Medien berichten entweder gar nicht, oder dann über seinen Konkurrenten.
- Was wären die Vorteile für die Schweiz bei seiner Wahl?
Letzten Mittwoch hiess es «Antraben zur Anhörung» am Sitz des Europarats in Strassburg. Die Kandidaten, die gerne Generalsekretär des Europarats werden möchten, wurden von den Aussenministern der Mitgliedsländer befragt. Vergangenen Montag dann verkündete man den Entscheid: Nebst zwei anderen Kandidaten ist Alain Berset, Ex-Bundespräsident der Schweiz, weiterhin im Rennen.
Sozialist Alain Berset
Nur scheint dies dieses Europa – das der künftige Generalsekretär repräsentieren sollte – kaum zu interessieren. In Belgien wird immerhin über die Ausmarchung berichtet, allerdings mit dem Fokus auf ihren ehemaligen Finanz- und Aussenminister Didier Reynders: Dieser könne weiterhin Generalsekretär des Europarats werden. So berichtet das flämische «Nieuwsblad» und der wallonische «Le Soir» relativiert immerhin, Reynders habe eine Chance von 1 zu 3.
Denn, so beide Blätter übereinstimmend: Schliesslich seien da noch der estnische Sozialdemokrat Indrek Saar und der Schweizer Sozialist Alain Berset. Jawohl, Sozialist, obwohl der doch ebenfalls Sozialdemokrat und nicht nur «Schweizer», sondern ehemaliger, zweifacher Bundespräsident ist. Nur heisst eben die SP in der Romandie tatsächlich «Parti socialiste» und im Welschland spricht man schliesslich die gleiche Sprache wie in Wallonien.
Dass in Belgien primär über Belgier berichtet wird, versteht sich von selbst. Doch auch der Europa-Ableger der US-Zeitung «Politico» fokussiert auf Reynders, genauso wie die spanische News-Site «Infolibre». Denn einerseits kennt man Reynders – er ist aktuell EU-Justizkommissar. Anders als Alain Berset hat er also ein Amt inne und muss dieses während seiner Kandidatur nun sistieren, was allfällige politische Konsequenzen hat.
Alain Berset ist der Beste
In unseren Nachbarländern, ganz zu schweigen vom restlichen Europa, ist die Wahl des Europarat-Generalsekretärs aber kein Thema. «Nieuwsblad» weist immerhin darauf hin, dass Alain Berset ein ernstzunehmender Gegner für Reynders ist. Denn der Beschluss der Aussenminister sieht vor, dass die Bewerbungen «in der Reihenfolge ihrer Präferenz» genannt werden. Erwähnt wird zuerst Alain Berset, dann Indrek Saar und erst zum Schluss Didier Reynders.
Das hiesse dann, dass Alain Berset bei den Anhörungen am besten überzeugen konnte. Was aber noch nichts heissen muss, denn gerade Didier Reynders gilt als extrem gut vernetzt. Gewählt wird der neue Generalsekretär vom Europarat Ende Juni, sein Amt tritt er am 18. September an.
Und was hätten wir nun davon?
Sollten die Europaparlamentarier aus 46 Staaten tatsächlich Alain Berset zum neuen Generalsekretär wählen: Bringt das der Schweiz irgendetwas? Direkt sicher nicht, genau gleich wie sich auch kaum jemand erinnert, wer aktuell oder seit 1949 das Amt bekleidete. Indirekt aber wohl schon, weshalb selbst SVPler wie Nationalrat Alfred Heer eifrig für Bersets Kandidatur weibeln.
Es würde dem Image der Schweiz guttun, wenn den Wächtern über die Menschenrechte auf dem europäischen Kontinent ein Schweizer vorstehen sollte. Es würde Europa – und damit auch der Schweiz – guttun, wenn der Generalsekretär für einmal aus einem Nicht-Nato- und Nicht-EU-Staat stammte. Es könnte der Schweizer Neutralität wieder etwas mehr Meriten verleihen, nachdem diese im Zuge des Ukraine-Kriegs in Mitleidenschaft gezogen worden sind.
Umgekehrt ist das Amt zwar mit einigen persönlichen Vorteilen, aber nicht sehr viel Macht oder öffentlichen Aufgaben ausgestattet. Insofern könnte man tatsächlich argumentieren, mit einem Generalsekretär Alain Berset hätte die Schweiz fünf Jahre lang Ruhe vom umtriebigen Politiker. Was gewisse Kreise durchaus als Vorteil sehen könnten.