Bundesrat beerdigt das Rahmenabkommen mit der EU
Der Bundesrat bricht die Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen ab. Es gebe weiterhin substantielle Differenzen, ein Abschluss sei nicht möglich.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Bundesrat bricht die Gespräche mit der EU über das Rahmenabkommen ab.
- Es gebe keine Möglichkeit, sich bei den strittigen Punkten noch zu einigen.
- Das EJPD soll nun das nationale Recht überprüfen und «Reibungsflächen» mit der EU abbauen.
Auch der Besuch von Bundespräsident Guy Parmelin bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ende April half nicht weiter. An seiner heutigen Sitzung hat der Bundesrat dem Rahmenabkommen mit der EU endgültig den Stecker gezogen.
Bei den Verhandlungen über die noch strittigen Punkte zeigten sich beide Seiten unnachgiebig. Oder wie es der Bundesrat formuliert: Es gebe weiterhin «substanzielle Differenzen». Die Bedingungen für einen Abschluss seien deshalb nicht gegeben.
Gleich zu dritt erläutert der Bundesrat diesen einschneidenden Schritt. Nebst Parmelin treten auch Aussenminister Ignazio Cassis und Justizministerin Karin Keller-Sutter vor die Medien. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist heute vorab schriftlich über diesen Entscheid informiert worden.
Plan B: Dialog und Auffangmassnahmen
Ganz zuschlagen will der Bundesrat die Türe zu Brüssel aber nicht: Er will mit der EU einen politischen Dialog über die weitere Zusammenarbeit aufnehmen. So sollen die veralteten Verträge der Bilateralen I über die Runden gerettet werden. Aus Brüssel kommt postwendend aber die Mitteilung, solches sei «unmöglich». Auch hier wird eine Hintertüre offengelassen: «Wir werden nun die Folgen dieser Ankündigung sorgfältig analysieren.»
Gleichzeitig erhält das Justizdepartement unter Bundesrätin Keller-Sutter einen Prüfauftrag. Es soll klären, wie das bilaterale Verhältnis mit möglichen, autonomen Anpassungen im nationalen Recht stabilisiert werden könnte. Mit Auffangmassnahmen sollen Folgen durch das fehlende Rahmenabkommen für Wirtschaft und Gesellschaft abgefedert werden. Das habe bei der Börse gut funktioniert, aber es werde sicher auch Bereiche geben, wo dies nicht möglich sei.
EU sieht Rahmenabkommen als Chance für die Schweiz
Noch gestern hat die EU in einem Factsheet hervorgehoben, wie nützlich das Rahmenabkommen für die Schweiz doch sei. Beziehungsweise: Wie schädlich ein Scheitern wäre, Stichwort Ende der Bilateralen.
Die Schweiz wäre dann aussen vor bei Normen und Standards oder beim prioritären Zugang zum Stromnetz, droht die EU. Lebensmittelimporte würden schwieriger, selbst die Mitarbeit beim Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) falle dahin.
Aus dem Bundeshaus hörte man derweil, dass die EU offenbar Mühe bekunde, die Schweizer Forderungen nur schon zu verstehen. Das habe immer wieder zu Missverständnissen geführt. So auch bei den letzten kritischen Punkten: Dem Lohnschutz, der Unionsbürgerrichtlinie und den staatlichen Beihilfen. Die EU erwartete stets Kompromissvorschläge, für die Schweiz war dagegen die Verhandlungsmasse längst ausgeschöpft – jetzt wirft der Bundesrat das Handtuch.
Vertrag war unterschriftsreif
Im Prinzip will die EU auch gar nicht verhandeln, sondern allerhöchstens «darüber sprechen» und allenfalls Unklarheiten beseitigen. Denn die Verhandlungen sind längst abgeschlossen: Seit November 2018 liegt ein fixfertiges, von Unterhändlern ausgehandeltes Rahmenabkommen vor. Der Bundesrat hätte nur noch unterschreiben müssen, tat dies zum Erstaunen der EU aber nie.
Nicht nur die SVP, auch die Gewerkschaften kritisierten das Abkommen scharf. Zwar einigten sich die Sozialpartner dann auf eine gemeinsame Linie, die aber wiederum in der EU keinen Anklang fand. Es folgte ein Hickhack zwischen Schweiz und EU mit gegenseitigen Druckversuchen. So liess die EU die Anerkennung der Schweizer Börse auslaufen, die Schweiz behielt dafür die sogenannte «Kohäsionsmilliarde» zurück.
Das Protokoll
17:12 Die Bundeskanzlei hat den Brief, den Chefunterhändlerin Livia Leu Ursula von der Leyen übergeben hat, veröffentlicht. «Nach einer globalen Evaluation des InstA ist der Bundesrat zur Einsicht gelangt, dass die Bedingungen zur Unterzeichnung nicht erfüllt sind», steht schwarz auf weiss. Es sei deswegen besser, «den laufenden Verhandlungen ein Ende zu setzen».
Der Bundesrat werde sich weiterhin als Partnerin der Europäischen Union engagieren, steht weiter. Der Bundesrat schlägt von der Leyen vor, einen «regelmässigen politischen Dialog auf hohem Niveau» aufzubauen. So werde die gemeinsame Agenda besser verfolgbar und entwickelt.
17:08 Die Zukunft der Schweiz bleibe im Herzen Europas, sagt Cassis. Es müsse nicht gedacht werden, dass der Weg jetzt ändern werde. Das «Scheitern», so wie Cassis es sagt, sei kein Paradigmenwechsel. Vielleicht werde die Schweiz sogar einen besseren Weg finden.
17:06 Ist Ignazio Cassis noch die richtige Person, um das Dossier zu behandeln? Insgesamt fünf Bundesräte hätten sich schon mit dem Rahmenabkommen befasst. Es sei eine Ehre gewesen, zu dieser Gruppe zu zählen, so Cassis. Der Bundesrat habe als Kollegium die richtige Entscheidung für die Schweiz getroffen.
Keller-Sutter will «ganz in Ruhe» vorgehen
17:00 Wird die Schweiz nicht immer wieder an den gleichen Punkten scheitern? Keller-Sutter sagt, dass der Prozess des Rechtsvergleichs «ganz in Ruhe» verlaufen werde. Deswegen sei es möglich, Hürden abzusenken.
16:55 Wird es in der Schweiz einen Strommangel geben? Bundesintern liefen schon Analysen, sagt Bundespräsident Parmelin. Das Risiko existiere aber auch unabhängig vom Rahmenabkommen. Vielleicht habe es sich durch den Entscheid von heute aber verschärft.
16:50 Keller-Sutter möchte noch nicht sagen, welche Teile des Schweizer Rechts Differenzen mit dem EU-Recht haben. Aber die Personenfreizügigkeit werde wahrscheinlich im Fokus stehen.
Sie relativiert noch die pessimistische Stimmung rund um den Entscheid: Die Schweiz habe einen guten Austausch mit der EU, «das vergisst man vielleicht». Die Kommunikation funktioniere «tadellos».
16:46 Ist die Aufgabe des Bundesamts für Justiz eine Kapitulation gegenüber der EU? Nein, sagt Keller-Sutter. Die Überprüfung der Differenzen zwischen EU- und schweizerischem Recht werde ohne Druck einer Verhandlung ablaufen.
16:38 Das Thema der Personenfreizügigkeit sei für die Schweizer Stimmbevölkerung sensibel, so Ignazio Cassis. Deswegen sei der Bundesrat überzeugt, dass auch die Bevölkerung Nein gesagt hätte.
16:28 Der Bundesrat sei bereit, die Kosten für den Zugang zum Binnenmarkt zu übernehmen, sagt Cassis.
16:23 Es sei schwierig, die volkswirtschaftlichen Konsequenzen des Entscheids einzuschätzen, so Guy Parmelin. Bundesrat Cassis fügt hinzu: «Heute haben wir kein Rahmenabkommen, morgen haben wir kein Rahmenabkommen.» Konkret nennt er es eine «langsame Erosion».
Die Kosten hängen mit Annahmen zusammen, sagt er weiter. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass Kosteneinschätzungen «Alibiübungen» seien. Die Tatsache, dass aber Nachteile folgen würden, zwinge den Bundesrat, optimistisch in die Zukunft zu schauen.
16:19 Die Mitgliedstaaten der EU hätten ein stabiles Verhältnis zur Schweiz, so Cassis. Die Schweiz sei zudem «im Herzen» des EU-Territoriums. Daran werde sich nichts ändern.
Rahmenabkommen laut Parmelin weder bei Volk noch in Parlament mehrheitsfähig
16:16 Hätte das Parlament mitreden müssen? Der Bundesrat habe gemäss Bundesverfassung die Macht, Abkommen zu unterschreiben oder nicht. Parmelin sagt zudem, weder das Volk noch das Parlament hätten dem Abkommen zugestimmt.
16:14 Das sei ein «doppeltes positives Zeichen», so Karin Keller-Sutter. Einerseits zeige es der EU, dass die Schweiz den bilateralen Weg trotzdem beibehalten wolle. Andererseits sende es innenpolitisch das Zeichen, dass die Schweiz autonom bleiben werde.
16:11 Was wird die Aufgabe des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements sein? Im nationalen Recht soll das bilaterale Verhältnis zwischen der EU und der Schweiz stabilisiert werden. Das Bundesamt für Justiz ist für die Prüfung und den Vergleich des Rechts zuständig. Keller-Sutter präzisiert aber, es handle sich nicht um eine Übernahme von EU-Recht.
16:06 Nun hat Justizministerin Karin Keller-Sutter das Wort. Die Schweizer Stimmbevölkerung habe immer wieder den bilateralen Weg unterstützt. Letztens im September 2020, mit der Begrenzungsinitiative. Der Bundesrat sei entschlossen, den bilateralen Weg fortzusetzen, er sei auch für die EU von Vorteil.
16:02 Wie geht es also weiter? Die Schweiz bleibe eine engagierte Partnerin der EU, so der Bundesrat. Der Bund werde sich auch weiterhin um eine gute Partnerschaft bemühen.
Wo Probleme bei bilateralen Verträgen bestünden, wolle die Schweiz diese konstruktiv lösen. Der Bundesrat erwarte auch, dass die Verträge konsequent umgesetzt würden.
Cassis: Blockierungen der EU «sachfremd und kontraproduktiv»
15:58 Der Bundesrat sei sich bewusst, dass dieser Entscheid Nachteile mit sich ziehen werde. Aber die EU blockiere auch viele Gespräche, zum Beispiel beim Strom oder bei Medizingütern. Diese Blockierungen seien «sachfremd und kontraproduktiv», macht Cassis klar.
15:56 Die Schweiz habe bei der Verhandlung rund um das Rahmenabkommen «wichtige Konzessionen» gemacht, sagt Cassis. Auch die Kündigungsklausel sei ausschlaggebend gewesen. Und die Schweiz müsse ihre Interessen schützen, so der Aussenminister. Bei den drei Streitpunkten habe der Bundesrat «kaum mehr Spielraum» gehabt.
15:50 Vize-Bundespräsident Ignazio Cassis ergreift das Wort. Die Delegationen der EU und der Schweiz hätten hart gearbeitet. Dokumente mit den Positionen beider Lager und konkreten Lösungsvorschlägen seien ausgetauscht worden. Besonders die Unionsbürgerrichtlinie (UBRL) habe Probleme bereitet, so Cassis.
Die Schweiz und die EU hätten unterschiedliche Definitionen der Personenfreizügigkeit. Die EU habe ein erweitertes Verständnis derer, was genau das Problem war. Der Bund war nicht dazu bereit, dieses Verständnis zu übernehmen. Das wäre ein Paradigmenwechsel, sagt Cassis.
15:48 Im November 2018 hat die EU die Verhandlungen als abgeschlossen betrachtet. Im darauffolgenden Frühling wurden die Schwachstellen im Rahmenabkommen festgestellt. Die Schweiz habe ihre Position zu den Streitpunkten elaboriert, so Parmelin.
15:45 Bundespräsident Guy Parmelin eröffnet die Medienkonferenz. Nach seinem Treffen mit Ursula von der Leyen habe der Bundesrat viele Akteure konsultiert. Aufgrund der Verhandlungsergebnisse habe die Exekutive festgestellt, dass keine Lösung gefunden werden könne.