Coronavirus: BAG erfasst Ansteckungsorte nicht mehr
Kurz vor dem Bundesrats-Hammer wird klar: Die Schweizer Behörden wissen nicht, wo wir uns mit dem Coronavirus anstecken. Das BAG versucht es nicht einmal mehr.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Frage, wo sich Menschen mit Corona anstecken, kann das BAG nicht beantworten.
- Die Ansteckungsorte seien nicht aussagekräftig und werden nicht mehr systematisch erfasst.
- Obwohl der Bundesrat die Hotspots nicht kennt, dürfte er weitere Massnahmen ergreifen.
Die Schweiz befindet sich seit Wochen im Mini-Lockdown. Und morgen Mittwoch dürfte sich die Lage weiter zuspitzen. Der Bundesrat will alle Restaurants bis Ende Februar dichtmachen, womöglich sogar Läden schliessen.
Begründung für die drastischen Massnahmen: In Beizen und Geschäften treffen sich Leute, mutmasslich stecken sich hier viele Menschen an. Einen Beweis dafür gibt es indes nicht. Mitte Dezember machte Nau.ch eine Liste des Bundesamts für Gesundheit publik.
Diese zeigte, dass in Restaurants nur gerade 2,8 Prozent der bekannten Ansteckungen stattfinden. In Einkaufsgeschäften fand bis anhin keine einzige nachgewiesene Übertragung statt. Das Problem der Zahlen: Bei vielen Ansteckungen ist unklar, wo sie stattfanden.
BAG erfasst Ansteckungsorte nicht mehr
Und das wird bis auf weiteres so bleiben. Nau.ch wollte vom BAG wissen, wie sich die Situation über die Festtage darstellt. Kam es bei Familien-Anlässen zu Übertragungen? Vielleicht trotz Schutzkonzepten gar in Skigebieten? Oder geschahen diese doch eher am Arbeitsplatz?
Nach acht Tagen des Schweigens und erneuter Rückfrage meldet sich die Behörde. BAG-Sprecher Daniel Dauwalder hält dabei fest: «In der heutigen Situation können sich Personen überall anstecken, besonders in geschlossenen Räumen.» Aus diesem Grund habe das BAG entschieden, keine Ansteckungsorte mehr zu veröffentlichen. Die Zahlen seien zu wenig aussagekräftig.
Erst auf Nachfrage macht das Amt klar: Die Zahlen werden nicht etwa geheim gehalten, sondern nicht einmal mehr erhoben. «Wir erfassen sie nicht mehr systematisch», bestätigt Dauwalder. Das ist eine Kehrtwende, wurden die Daten doch bis in den Dezember hinein wo möglich mit einem klinischen Meldeformular erhoben.
Absage ans «Backward Tracing» des Coronavirus
Damit fehlen dem Bundesrat vor zentralen Entscheiden über das Schicksal ganzer Branchen also verlässliche Daten. Vor allem der Gastro-Bereich dürfte darob einmal mehr zumindest irritiert sein.
Vertreter der Branche argumentieren seit Wochen mit den jüngst bekannt gewordenen Zahlen. Da Restaurants nun geschlossen sind, finden dort aktuell so oder so keine Ansteckungen statt.
Aber: Durch die Aufgabe der Ermittlung der Ansteckungsorte ist auch kaum mehr «Backward Tracing» möglich. Dabei geht es darum, zu ermitteln, wo sich Personen infiziert haben. So können Super-Spreader-Events lokalisiert und Teilnehmende gewarnt werden.
Was entscheidet Bundesrat nach Task-Force-Knatsch?
Die wissenschaftliche Task Force empfahl den Behörden dieses System Ende November auf dem Höhepunkt der zweiten Welle. Der Ansatz wurde aber offensichtlich nie ernsthaft weiterverfolgt. Nun pocht die Task Force seit Wochen auf schärfere Massnahmen.
Wie sehr der Bundesrat dabei auf die primär epidemiologisch argumentierenden Wissenschaftler hört, zeigt sich am Mittwoch. Sicher ist: Zwischen den Entscheidungsträgern und einigen Wissenschaftlern herrscht kalter Krieg.
Die Task Force tritt bei den Medienkonferenzen des Bundes kaum mehr auf, Epidemiologe Christian Althaus verliess das Gremium verärgert.
Die Neuinfektionen gehen indes trotz mehr Tests seit Tagen zurück. Der Bundesrat dürfte aber dennoch zum Corona-Hammer greifen. Denn die britische Virus-Mutation B117 breitet sich relativ schnell aus. Weil diese Form deutlich ansteckender als die bekannte ist, herrscht Nervosität vor einer dritten Welle.