Grünliberale sind Mainstream: Longchamps Bilanz ein Jahr nach Wahl
Das Wichtigste in Kürze
- Für Politologe Claude Longchamp ist klar: Die Grünliberalen sind die Partei der Stunde.
- Sie sind der Mainstream, FDP und SVP sind dagegen zunehmend erfolglos.
- Die GLP hätte die Kampfjets abstürzen lassen können – und wird nun zum Bundesrats-Faktor?
Fast ein Jahr nach den nationalen Wahlen zeigt sich auch bei den Volksabstimmungen ein Umbruch. Sieben Mal konnte das Stimmvolk Ja oder Nein sagen, fünf Mal alleine letzten Sonntag. Erster Sieger in der Bilanz von Politologe Claude Longchamp ist aber die Demokratie, angesichts der Stimmbeteiligung von über 58 Prozent. Als parteipolitischen Durchstarter sieht er die Grünliberalen, die bei allen Vorlagen gewannen.
SVP und FDP mit alten Rezepten erfolglos
Wenig punkten konnten die rechtsbürgerlichen SVP und FDP. Bei der Schweizerischen Volkspartei habe sich das Muster «alle gegen die SVP» langsam überholt. Damit sei man nun acht Mal gescheitert. Bei der FDP stehe immer noch der Richtungsentscheid im Vordergrund. Die unterschiedlichen Tendenzen bei Parteileitung und Jungfreisinnigen führe zu riskanten Parolenfassungen.
So sei die Nein-Parole zum Vaterschaftsurlaub entstanden. «Das ist irgendwie nicht mehr zeitgemäss. In der Ostschweiz mag das noch angehen, in der Zentralschweiz auch, aber das sind ja auch nicht mehr Hochburgen der FDP.»
Grünliberale als Prognose-Helfer
Die Grünliberalen dagegen seien im Mainstream angekommen, sagt Longchamp. Sie repräsentieren die massgeblichen Tendenzen in der Schweizer Politlandschaft: weiblicher, jünger, urbaner. Voll auf die GLP-Parolen als Prognose-Instrument zu setzen, sei aber noch verfrüht. «Früher lag man mit der Prognose FDP plus CVP/BDP in 31 von 34 Fällen richtig. Jetzt haben wir sieben Abstimmungen gehabt, die GLP führt mit sieben von sieben, aber es ist immer noch etwas Zufall dabei.»
Angesichts der zwei sehr knappen Resultate beim Jagdgesetz und den Kampfjets hätten auch Links-Grün oder die EVP der neue Mainstream sein können, mahnt Longchamp. «Der Zufall ist aber symptomatisch: Die GLP hat zwei Dinge gespürt, die andere in der Mitte weniger spüren. Gesellschaftspolitisch liberal, das ist gefragt, und ökologisch offen.»
GLP hätte Kampfjet kippen können
Bilden die Grünliberalen aber nicht nur die Stimmung im Volk gut ab, sondern haben auch aktiv Einfluss darauf? Eine Nein-Parole beim Kampfjet wäre hier der Prüfstein gewesen, um ein nationales Resultat zu kippen. Und Claude Longchamp bestätigt: «Ja, das hätte höchstwahrscheinlich gereicht!»
Bei der Gripen-Abstimmung seien drei Faktoren entscheidend gewesen: Die Westschweiz, die Frauen und die politische Mitte. Bei letzterer seien die Grünliberalen die signifikanteste Partei. «Hätte die GLP die Nein-Parole beschlossen, wie beim Gripen, das hätte die 0,1 Prozent auf jeden Fall ausgemacht.»
Nicht «Volkspartei» – aber Bundesratspartei?
Die Grünliberalen sind also vorderhand der neue Mainstream, nicht die SVP oder CVP, die sich doch «Volkspartei» nennen. Diesen Begriff will Longchamp aber lieber nicht den Grünliberalen anhängen.
«Eine Volkspartei ist nicht die Partei, die am nächsten beim Volk ist. Sondern eine Partei, die für alle sozialen Gruppen und alle Landesteile offen ist und gut repräsentiert ist. Bei der GLP muss man klar sagen: In der Westschweiz ist nicht viel los. Soziologisch gesehen spricht sie vorwiegend gutverdienende, gebildete, meist jüngere Wähler an. Auch das passt nicht wirklich zu einer Volkspartei.»
Aber bei den ökologischen und den Frauen-Themen habe die GLP die Winner-Position inne. Reicht das aber auch für einen Öko-Sitz im Bundesrat, zusammen mit den Grünen? Bei Bundesratswahlen sei die Logik eine andere, betont Longchamp, schliesslich sei die Grüne Regula Rytz ja auch nicht gewählt worden. Das Spannungsfeld könne sich aber 2023 verschieben: «Nicht nur ‹ersetzt ein Grüner einen Sozialdemokraten› oder ‹ersetzt ein GLPler einen Freisinnigen›.»
Nächster Halt Konzernverantwortungsinitiative
In der näheren Zukunft sieht Longchamp etwas weniger Relevanz für die Grünliberalen, nämlich bei der Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative Ende November. Entscheidend sei zunächst einmal die Allianz aus Grünen, SP, Grünliberalen und EVP. «Das ist eine referendumsfähige Allianz. Die hat beim Gripen gewonnen, bei der Unternehmenssteuerreform und bei den Kinderabzügen.»
Die nächsthöhere Stufe wäre aber, initiativfähig zu sein. «Das ist schwieriger, weil man dann für etwas statt gegen etwas sein muss. Da bin ich mir noch nicht so sicher, aber immerhin hat diese Allianz gezeigt, dass sie aus einer Minderheitsposition heraus gewinnen kann.» Bei der Konzernverantwortungsinitiative sei die Hürde hoch, aber: «Die Spannung ist auf jeden Fall gestiegen!»