Jetzt will Parlament dem Bundesrat doch auf die Finger schauen
Der Bundesrat regiert in der Corona-Notlage ohne die Legitimation durch das Parlament. Bisher. Heute wird bekannt, wann National- und Ständerat zusammenkommen.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Bundesrat erlässt im Schnellzugstempo neue Verordnungen im Coronavirus-Kampf.
- Eigentlich sollte das Parlament diese Regierungsbeschlüsse gutheissen.
- Nun soll ein Termin und ein Ort gefunden werden, damit die Räte wieder tagen können.
Vor zehn Tagen haben die Ratbüros von National- und Ständerat den Abbruch der Session beschlossen. 246 Personen - einige davon Risikopersonen - eng auf eng im Bundeshaus, das stellt angesichts der rasanten Verbreitung des Coronavirus ein zu grosses Risiko dar.
Der Bundesrat hat in der Zwischenzeit weitreichende Verbote und Notmassnahmen beschlossen. Bisher tut er das in der «ausserordentliche Lage» in Eigenregie. Das Parlament wurde bisher nicht um Erlaubnis gefragt. Das Milliarden-Paket für die Wirtschaft wurde immerhin von der Finanzdelegation unterstützt.
Schon bald wurden Stimmen laut, dass die in dieser Notsituation getroffenen Entscheide des Bundesrates vom Parlament legitimiert werden sollen. Heute Donnerstagnachmittag wollen die Ratsbüros über Ort und Datum einer ausserordentlichen Session informieren.
Gewaltentrennung aufgeschoben, aber nicht aufgehoben
In anderen europäischen Ländern wird die Corona-Krise indes ausgenutzt, um die Macht der Regierung auszubauen. Ungarns Premierminister Viktor Orbán will künftig per Notstand-Dekret regieren, legt damit die Demokratie auf Eis. Israels Premier Benjamin Netanjahu - erst kürzlich im dritten Anlauf hauchdünn wiedergewählt - regiert ebenfalls per Notdekret.
Auch in Polen und Grossbritannien beantragen die Regierungen dem Parlament zahlreiche Notverordnungen. Im Kosovo will Präsident Hashim Thaci seine Kompetenzen ausbauen. Die für Demokratien elementare Gewaltentrennung steht auf dem Prüfstand.
Stimmen aus dem Parlament
Mitglieder der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats warnen genau davor. Unter ihnen GLP-Fraktionschefin Tiana Angelina Moser, SP-Nationalrat Fabian Molina oder FDP-Nationalrätin Doris Fiala.
Weitere Politiker rufen zur Ansetzung einer Sondersession. Nötig wäre allerdings eine ausserordentliche Session, bei welcher auch neue Traktanden aufgenommen und behandelt werden können.
Pikant: Ein Viertel eines Rates könnte eine ausserordentliche Session verlangen. Nun war es aber der Bundesrat, der dies am Freitag beschlossen hatte. Erst gestern Mittwoch rangen sich 28 Ständeräte dazu durch, einen Antrag zu stellen. Einziges Traktandum soll die Corona-Krise sein.
Die Büros suchen weiterhin nach einem Datum und einem Ort für die Session. Die Ständeräte machen beliebt, in der ersten Maiwoche statt der bereits angesetzten Sondersession die ausserordentliche Session durchzuführen.
Aus Platzgründen kommt das Bundeshaus nicht infrage. Roger Nordmann hatte im Blick vorgeschlagen, ein grosses Zelt auf den Bundesplatz zu stellen, die Ständeräte könnten derweil den so freien Nationalratssaal benutzen. Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli hatte abgewinkt, es gebe schliesslich genügend bereits eingerichtete Räumlichkeiten in Bern.
Fraktionschefs wollen nichts überstürzen
Einige Parlamentarier sind indes gar nicht sonderlich scharf auf eine baldige Weiterführung des Parlamentsbetriebs. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi will nichts überstürzen und auf keinen Fall vor dem 19. April tagen, wie er zum «Tagesanzeiger» sagt.
Auch für FDP-Fraktionspräsident Beat Walti ist klar, dass das Parlament gegenwärtig wenig zur Krisenbewältigung beitragen könne. CVP-Fraktionschefin Andrea Gmür hat ebenfalls keinen Drang zur Hast, möchte die Notrechtbeschlüsse des Bundesrates jedoch legitimieren.
Grünen-Präsidentin Regula Rytz sieht keine Eile, tagen könne das Parlament auch noch im Mai oder Juni. Speziell: Die Grünen sind mit über 13 Prozent viertgrösste Partei, aber nicht in der Regierung vertreten.
Dass es viele Parlamentarier nicht eilig haben, wieder zum Politik-Alltag zurückzukehren hat womöglich auch damit zu tun, dass sie derzeit ziemlich zufrieden sind?
— Jonas Fricker (@FrickerJonas) March 24, 2020