Masken an Schulen: Eltern und Experten prangern Kinderärzte an
Die Kinderärzte haben ihre Haltung zu Corona-Massnahmen unbemerkt relativiert. Elternorganisationen werfen ihnen Diskussionsverweigerung vor.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Kinderärzte sind gegen Masken an Schulen – meinte man jedenfalls.
- Dass der Verband seine Haltung abschwächte, bekam kaum jemand mit.
- Eltern sind entrüstet: Falsche Angaben führten zu falschen Entscheiden in den Kantonen.
Lüften, testen, Masken, notfalls Quarantäne für ganze Klassen: Corona-Massnahmen an Schulen decken ein breites Spektrum ab. Und sie verunsichern Behörden, Eltern, Lehrer und Schüler. Was ist in welcher Situation sinnvoll und verhältnismässig für die nicht impfbaren Kinder? Schliesslich sollten sie möglichst nicht krank, aber auch möglichst nicht von Sozialleben und Bildung ausgeschlossen werden.
Als Mitte September Pädiatrie Schweiz, der Verband der Kinderärzte, seine Überlegungen und Empfehlungen formulierte, erfuhren diese grosse Beachtung. Nur schienen sie für Laien nicht ganz kohärent zu sein und im Widerspruch zur Haltung der Taskforce zu stehen. Wie jetzt öffentlich wurde, gibt es aber ein gemeinsames Statement von Pädiatrie Schweiz und Taskforce. Dieses freut diejenigen, die mehr Schutz für Kinder fordern – nur sei der Schaden mittlerweile bereits angerichtet.
«Weicht klar von bisheriger Linie von Pädiatrie Schweiz ab»
Das offenbar am 24. September verfasste Statement relativiert die Masken-kritische Haltung von Pädiatrie Schweiz. Das freut Christan Walter, Sprecher von #ProtectTheKids, einer Interessensgruppe, die sich für bestmöglichen Schutz von Schulkindern stark macht. «Wir begrüssen, dass Schulschliessungen genauso vom Tisch sind wie die Ablehnung von Massnahmen wie CO2-Messgeräte, Spucktests und Masken.»
Auch die Forderung von schweizweit einheitlichen und klaren Regelungen sei wichtig. Der Haken dabei: «Das gemeinsame Statement weicht klar von der bisherigen Linie von Pädiatrie Schweiz ab», so Walter. Dass diese Klarstellung nicht bekannt war, sei in diesem Fall gravierend. «Die ursprüngliche Mitteilung von Pädiatrie Schweiz diente an vielen Orten dazu, sogar Massnahmen wie das regelmässige Testen aufzuheben.»
Weitreichende Folgen für Schulen
Walter erwähnt die Kantone Bern und Zürich als Beispiele. Tatsächlich zitiert der Kanton Bern das Schreiben von Pädiatrie Schweiz, um die Kritik nach dem Ende der Schultests zu kontern. Später verwies die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner auf Pädiatrie Schweiz und den Kanton Bern zur Begründung ihrer zögerlichen Haltung. Im Kanton Aargau werden Beschwerden gegen die Maskenpflicht an Schulen mit den ursprünglichen Empfehlungen der Kinderärzte begründet.
Mit dem gemeinsamen Statement mit der Taskforce entsteht der Eindruck, die Kinderärzte würden zurückbuchstabieren. Nur war das kaum jemandem bekannt: «Die Folgen dieses Schreibens sind weitreichend», mahnt Walter. Denn an vielen Orten habe es zur Massnahmenreduktion gedient.
Vorwurf der Diskussionsverweigerung an Pädiatrie Schweiz
Es ist nicht der einzige Kritikpunkt von #ProtectTheKids, dass am 24. September eine «geheime» Klarstellung des Dokuments der Kinderärzte erfolgte. «Wir haben am gleichen Tag in einem offenen Brief auf die zahlreichen Mängel des Dokuments hingewiesen.» Denn dieses werfe mehr Fragen auf, als es beantworte: Zweifelhafte Quellenangaben, Aussagen ohne Quelle, Widersprüche zu früheren Empfehlungen der Kinderärzte.
Die Mängel-Vorwürfe werden aktuell auch unterstützt von einem Artikel im Fachjournal «Swiss Medical Weekly». Zehn Experten der Universitäten Genf, Basel und Bern, widerlegen das Argumentarium von Pädiatrie Schweiz nach Strich und Faden. Davon abgesehen sei der Schutz von Kindern ein moralisches Gebot. Das könne man zum Beispiel mit den von der Taskforce empfohlenen Massnahmen tun: Dem konsequenten Tragen von Masken.
Zusammen mit den Organisationen «Bildung Aber Sicher» und Schulcluster hat #ProtectTheKids in 15 Punkten um konkrete Antworten gebeten. Diese lassen bis heute auf sich warten, auch gegenüber verschiedenen Medien ist Pädiatrie Schweiz mit Auskünften sehr zurückhaltend. «Pädiatrie Schweiz verweigert sich bis heute einem offenen Diskurs auf wissenschaftlicher Basis», bilanziert Walter.
Nur für Experten gedacht?
Die teilweise unterlassenen Ausführungen in ihren Empfehlungen begründet Pädiatrie Schweiz gegenüber Nau.ch damit, dass das Zielpublikum diese nicht benötige. «Unser Newsletter ist für Kinderärztinnen und Kinderärzte ausgelegt», den Leuten an der Front sei schon klar, was gemeint sei.
Auch dies lässt Christian Walter so nicht gelten, denn es entspreche nicht der Eigendarstellung von Pädiatrie Schweiz. Abgesehen davon, dass dann diverse Kantonsregierungen dies ebenfalls falsch verstanden hätten.
In der Tat heisst es auf der Homepage von Pädiatrie Schweiz, man sei «wichtigste Ansprechpartnerin» für Behörden und Medien. Fachwissen werde zur Verfügung gestellt, eine faktenbasierte Entscheidfindung unterstützt, in den Diensten des Kindswohls.
Kinderärzte sollen Fehler eingestehen
Christian Walter von #ProtectTheKids sieht dies nicht erfüllt und fordert den Kinderärzte-Verband zum Handeln auf. «Pädiatrie Schweiz sollte besser überlegen, was für Folgen jegliche Kommunikation hat und auch den Mut haben, Fehler einzugestehen. Vor allem, wenn es um die Gesundheit aller Kinder unter zwölf Jahren geht.»
Unbekannten Abmachungen oder interne, widersprüchliche und nicht nach neusten Erkenntnissen korrigierte Empfehlungen dürften nicht gemacht werden. Schliesslich seien die eigenen Kinder und deren Gesundheit direkt betroffen, betont Walter. «Wir Eltern sind darauf angewiesen, dass ehrlich und offen kommuniziert wird.»