Netanjahu-Anklage spaltet Schweizer Politik
Der Haftbefehl gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu stösst sowohl auf Verständnis wie auch scharfe Kritik.

Das Wichtigste in Kürze
- Gegen Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu könnte ein Haftbefehl erlassen werden.
- Der Internationale Strafgerichtshof betritt damit Neuland.
- Die Schweizer Politik beurteilt einen solchen Schritt sehr unterschiedlich.
Der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den israelischen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu löst im Schweizer Parlament völlig unterschiedliche Reaktionen aus. Das Spektrum reicht von «geht gar nicht» bis «nichts als konsequent».
Sind rechtlich wirklich alle gleich?
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag legt in den letzten Jahren einen Prestige-Steigerungslauf hin. Mit der Anklage gegen den damaligen sudanesischen Diktator Umar al-Baschir betrat man Neuland: Erstmals gab es einen Haftbefehl gegen einen amtierenden Staatschef. Gleiches widerfuhr letztes Jahr dem russischen Präsidenten Wladimir Puin.

Doch Benjamin Netanjahu ist weder Diktator noch Quasi-Diktator, sondern demokratisch gewählter Ministerpräsident. Spielt keine Rolle, sagt dazu SP-Ständerat Carlo Sommaruga. Aufgabe des Gerichtshofs sei ja nicht, «zu beurteilen, ob ein Regime demokratisch ist oder nicht». Sondern ob jemand Verbrechen wie Völkermord oder Kriegsverbrechen begangen habe.

Deshalb sagt auch Ständerats-Kollege Andrea Caroni (FDP/AR), das Vorgehen sei völlig korrekt. «Rechtlich ja: Eine Volkswahl alleine ist ja kein Persilschein für Kriegsverbrechen.» Problematisch wäre, wenn schon, das Gegenteil, ergänzt Sommaruga: «Die Gerechtigkeit muss für alle gleich sein. Nichts, absolut nichts, rechtfertigt eine zweistufige Anwendung von Völkerrecht und Völkerstrafrecht.»
SVP-Steinemann: «Kein Recht, sondern Politik»
Genau das passiere hier aber, kritisiert SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann. Im Gegensatz zu Caroni findet sie, die Anklage stehe juristisch auf sehr dünner Grundlage: «Das ist kein Recht, sondern Politik gemacht.» Steinemann fühlt sich an NGOs mit pro-palästinensischer Schlagseite und antisemitischem Hintergrund erinnert.
Schliesslich habe es nie Haftanträge gegen Assad (Syrien), Erdogan (Türkei), Soleimani (Iran) und andere Despoten gegeben. Darum, folgert Steinemann: «Es ist ja sehr offensichtlich, dass das Völkerrecht nicht für alle gilt.»
Steinemann kritisiert den Chefankläger Karim Khan darum ganz persönlich. Denn Israel ist dem Internationalen Strafgerichtshof nie beigetreten, weshalb eine Anklage schon aus formellen Gründen scheitere. «Warum sich dann Khan trotzdem für zuständig hält, kann nicht anders als mit politischem Aktivismus erklärt werden.»
Bald andere Staatsoberhäupter im Visier?
Umgekehrt könnte es ja sein, dass sich der Internationale Gerichtshof je länger je mehr (zu)traut. Vielleicht folgt dereinst eine Anklage gegen Baschar al-Assad – oder gegen ein europäisches Staatsoberhaupt? Müssen sich Scholz, Meloni, Tusk & Co. bald jeden Schritt zweimal überlegen, weil sie unter Dauerbeobachtung aus Den Haag sind?
Für einmal sind sich hier alle einig, wenn auch aus unterschiedlichen Überlegungen: Diese Gefahr bestehe nicht. «Man kommt ja nicht einfach so in den Verdacht, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeordnet zu haben.» Jeder politische und militärische Führer müsse sich bewusst sein, dass man sich im umgekehrten Fall vor Gericht verantworten müsse, sagt SPler Sommaruga.

«Diese Gefahr halte ich für gering», sagt auch SVPlerin Steinemann, aber eben aus anderer Perspektive: «Weil bei dieser Anklage viel Ideologie und Opportunismus eine Rolle spielt.» Steinemann sieht Parallelen zum Urteil aus Strassburg zugunsten der Klimaseniorinnen: So werde die Glaubwürdigkeit dieser Institutionen untergraben.
Diesbezüglich könnte sie sich mit FDPler Andrea Caroni finden. Rechtlich korrekt sei der Haftantrag gegen Benjamin Netanjahu, wie erwähnt, sehr wohl. «Ob es klug ist, ist eine andere Frage, die ich noch nicht abzuschätzen vermag.»