Politologe: Darum reagiert der Bund nicht auf «China Cables»

Der Bund reagiert verhalten auf die «China Cables»-Enthüllungen. Die Schweiz mache eine Interessen-Abwägung, analysiert Politologe Laurent Goetschel.

The China Cables
Nach den Enthüllungen steckt die chinesische Regierung muslimische Minderheiten systematische in «Umerziehungslager». - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die «China Cables» enthüllten eine systematische Internierung von Minderheiten in China.
  • Politiker fordern, dass der Bund reagiert.
  • Menschenrechte kämen in keinem Land vor Wirtschaftsinteressen, kritisiert ein Politologe.

Ein «kultureller Genozid», so bezeichnen Experte die Internierung von schätzungsweise einer Million Menschen in chinesischen Lagern in der Region Xinjang. Geheime Dokumente unter dem Namen «China Cables» haben die Systematik der chinesischen Regierung vor einer Woche aufgedeckt. In die «Umerziehungslager» steckt die Regierung vor allem Uiguren und andere muslimische Minderheiten.

Schweizer Politiker verlangen, dass die Schweiz auf die Enthüllungen reagiert. «Hier werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einem enormen Ausmass verübt», meint etwa SP-Nationalrat Fabian Molina. Die Beschwichtigungspolitik der Schweiz müsse endlich ein Ende haben.

fabian molina sp
Fabian Molina, Nationalrat SP. (Archivbild) - Keystone

Doch der Bund selbst reagiert verhalten auf die Enthüllungen. Man beobachte die Menschenrechtslage in Xinjiang laufend, heisst es zwar. Sanktionen werden aber keine erwähnt.

«Aussenpolitik ist Interessenpolitik»

Für Politikwissenschaftler Laurent Goetschel von der Universität Basel ist die Reaktion des Bundes eindeutig: «Aussenpolitik ist Interessenpolitik. Und es sind immer mehrere Arten von Interessen im Spiel.»

Wenn es sich um kleinere, wirtschaftlich bedeutungslosere Länder handle, die schwere Menschenrechtsverletzungen begehen, sei die Güterabwägung für den Staat einfacher. Doch mit China bestünden gleichzeitig auch bedeutende Wirtschaftsinteressen. «Dies gilt für die Schweiz, aber auch für alle anderen Länder.»

laurent goetschel
Laurent Goetschel ist Professor an der Universität Basel mit dem Forschungsschwerpunkt Friedens- und Konfliktforschung. - Universität Basel

Menschenrechte würden wohl nie vor den Wirtschaftsinteressen stehen, so Goetschel weiter. «Ich kenne kein Land, das den Menschenrechten eine klare Priorität vor Wirtschaftsinteressen einräumt.» Sie spielten aber trotzdem eine Rolle – «zum Glück».

Reaktion der Schweiz wäre kaum von Relevanz

Im Falle Chinas komme hinzu, dass in Anbetracht der Grösse des Landes im Verhältnis zur Grösse der Schweiz ein alleiniges Vorgehen zwar medial von Interesse, praktisch jedoch kaum von besonderer Relevanz wäre.

«Die Schweiz könnte jedoch versuchen, Allianzen zu schmieden und andere Länder dafür zu gewinnen, gemeinsam gegenüber diesen Vorkommnissen Position zu beziehen», so der Friedens- und Konfliktforscher. Dafür könne eine öffentliche Zurückhaltung gar von Vorteil sein. «Dies gilt jedoch nur, wenn hinter den Kulissen auch tatsächlich etwas geschieht.»

Uno Sicherheitsrat
Eine Tagung des UN-Sicherheitsrat. - dpa

Sanktionen, die von einem (kleinen) Land im Alleingang verhängt werden, seien hingegen «reine Augenwischerei», ist der ehemalige Berater von alt Bundesrätin und Aussenministerin Micheline Calmy-Rey überzeugt. «Da muss man im Verbund handeln, zumindest auf Ebene der EU oder noch besser auf Ebene der Uno.»

Gelingt es der Schweiz, in wenigen Jahren, im Sicherheitsrat der Uno Einsitz zu nehmen, werde sich die Schweiz künftig gerade zu solchen Themen auch direkt einbringen können.

Kommentare

Weiterlesen

Uiguren
13 Interaktionen

Mehr aus Stadt Bern

Weihnachtsmarkt
1 Interaktionen
Demo in Bern
3 Interaktionen
Schweizer Efta/EU-Delegation
2 Interaktionen