Rentenkürzung bei Verdingkindern empört Politik

Christoph Krummenacher
Christoph Krummenacher

Bern,

Als Wiedergutmachung für ihre schwere Jugend erhielten Verdingkinder vom Staat Geld. Nun wird ihnen deshalb die Rente gekürzt. Politiker sind empört.

srf nationalrat
Verdingkinder litten in ihrer Kindheit und Jugend, weshalb sie 2018 vom Bund entschädigt wurden. - Screenshot SRF

Das Wichtigste in Kürze

  • Ehemalige Verdingkinder erhielten vom Bund eine Genugtuung für ihre Entbehrungen.
  • Doch manche Begünstigte verloren darob einen Teil ihrer Renten.
  • Das sei nicht die Idee des Wiedergutmachtungs-Gesetzes gewesen, sind sich Politiker einig.

Es ist ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Schweizer Eidgenossenschaft: die Verdingkinder. Vom Staat als billige Arbeitskräfte bei Bauernfamilien untergebracht, wurden sie dort häufig schlecht behandelt, geschlagen, missbraucht.

Als Wiedergutmachung beschloss das Parlament letztes Jahr den – heute längst erwachsenen – Betroffenen einen «Solidaritätsbeitrag» von 25'000 Franken auszubezahlen. Auslöser war die Wiedergutmachungs-Initiative gewesen.

Doch: Aufgrund des zusätzlichen Vermögens werden nun manchen Betroffenen die Ergänzungsleistungen sowie AHV-Renten gekürzt. Dies berichtet der «Kassensturz». Die Kürzung gilt für jene Personen, bei denen das Vermögen 37'500 Franken übersteigt, wie das Bundesamt für Justiz BJ in einem Merkblatt schrieb.

Politiker von links bis rechts sind empört

In der Politik kommt diese Nachricht gar nicht gut an. «Als Mitglied des Initiativkomitees verstand ich die Welt nicht mehr!», sagt BDP-Nationalrätin Rosmarie Quadranti. «Dass das Parlament sich dessen bewusst war, würde ich wirklich verneinen. Wäre das so gewesen, hätte ich schon damals Widerstand geleistet.»

quadranti Vergewaltigung
Rosmarie Quadranti, Nationalrätin BDP. - Keystone

Auch der Zuger FDP-Ständerat Joachim Eder sagt: «Ich traute meinen Ohren nicht, als ich dies hörte. Das darf doch nicht sein, war meine spontane Reaktion.» Für SVP-Nationalrat Lukas Reimann widerspricht die Rentenkürzung diametral dem Ziel der Entschädigung.

«Es geht hier um eine indirekte Staatshaftung für Ungerechtigkeiten aus der Vergangenheit und darf entsprechend zu keinen anderen, neuen Ungerechtigkeiten führen. Das ist unschön und verstärkt das berechtigte Gefühl vieler Betroffener an den Rand der Gesellschaft gedrückt zu werden. Das Gegenteil wollte man erreichen. Sehr schade!»

Auch Initiant Guido Fluri versteht, dass sich Betroffene in diesem Spezialfall vor den Kopf gestossen fühlen. «Sie fühlen sich erneut ungerecht behandelt. Es handelt sich um bedauerliche Einzelfälle, denn viele Betroffene leben in Armut

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Ende 2014 reichte der Unternehmer Guido Fluri die Wiedergutmachungsinitiative ein, die 500 Millionen Franken für die Betroffenen forderte. Umgesetzt wurde der Gegenvorschlag. - Keystone

Das Parlament habe diese Ausnahme damals gutgeheissen, damit der Gegenvorschlag zustande kommen konnte. «Wichtigstes Ziel war, für die Tausenden älteren Betroffenen so schnell wie möglich ein Wiedergutmachungs-Gesetz durch das Parlament zu bringen.»

Ganz genau, sagt SVP-Nationalrat Felix Müri. «Das ist eine einmalige Zahlung und als Wiedergutmachung gedacht.» Für ihn ist besonders stossend, dass nun genau jene benachteiligt werden, die Ergänzungsleistungen beziehen. «Nein, das geht nicht. Genau diese Menschen hätten das Geld ja am nötigsten.»

Muss das Gesetz geändert werden?

Rosmarie Quadranti: «Der Bund muss das korrigieren. Kürzungen müssen rückgängig gemacht werden. Das ist ein unhaltbarer Zustand.» Dass Betroffene mit einer sturen Auslegung des Gesetzes nochmals geprellt würden sei nicht gerechtfertigt.

Das widerspreche klar der Absicht der Politik, als das Gesetz beschlossen wurde, sind sich die Parlamentarier einig. Um solche Ausnahmen zu verhindern, müsse das Gesetz geändert werden.

Eine langwierige Gesetzesänderung ist jedoch eventuell gar nicht nötig, glaubt Quadranti. «Ich denke es müsste reichen, wenn man in einer Verordnung die Ausnahme definiert.» Auch Felix Müri geht davon aus, dass eine Anpassung auf Verordnungsebene ausreichen dürfte.

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Für SVP-Nationalrat Felix Müri. - Keystone

Lukas Reimann überlegt gar, ob ein Museum besser wäre, welches an die Opfer erinnert und die eindrücklichen Verding-Lebensgeschichten unsterblich macht. Klar ist für ihn: «In einem ersten Schritt ist umgehend abzuklären, wie viele Personen davon betroffen sind und bei diesen ist auf die Rentenkürzung zu verzichten.»

Bundesamt korrigiert Angaben auf Merkblatt

Mittlerweile hat das BJ ihr Merkblatt angepasst. Und weist darauf hin, dass Ergänzungsleistungen in Ausnahmefällen gekürzt werden können. Den geprellten ehemaligen Verdingkindern dürfte dies ein schwacher Trost sein.

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