SP-Chef Cédric Wermuth über Corona-Ausstieg und Neustart
Mit 60 Milliarden Franken will die SP die Pandemie-Folgen für Menschen und Wirtschaft beheben. Co-Präsident Cédric Wermuth sieht eine Entspannung der Lage.
Das Wichtigste in Kürze
- «Zurückhaltend hoffnungsvoll» sei er, sagt SP-Co-Chef Cédric Wermuth zur aktuellen Lage.
- Für den Sommer erwartet die SP aber vom Bund ein massives Investitionsprogramm.
- 60 Milliarden Franken sollen der Schweiz mit Schwung aus der Krise helfen.
Nach der Krise, oder nur schon nach der dritten Welle: Der Aufschwung werde wohl kommen, aber das genüge nicht, sagt SP-Co-Präsident Cédric Wermuth. Mit 60 Milliarden Franken soll den Opfern der Krise deshalb wieder auf die Beine geholfen werden.
In der Woche, in der mit der Test-Offensive die nächste Runde eingeläutet wird, ist Wermuth zwar vorsichtig optimistisch. Aber er warnt auch vor unvorhersehbaren Rückschlägen. Und gibt zu bedenken, dass die wahren Kosten der Pandemie erst in einigen Monaten zu spüren sein werden.
Nau.ch: Die SP hat während der Corona-Pandemie immer wieder Forderungen aufgestellt. Unter anderem, dass die jeweiligen Schritte wissenschaftlich untermauert sein müssen. Mit den Kriterien des Bundesrats, der erweiterten Teststrategie und der Impfkampagne ist dies erfüllt. Trotzdem präsentiert die SP bereits viel weitergehende Forderungen, die 60 Milliarden Franken kosten sollen.
Cédric Wermuth: Wir sind sicher in ruhigere Fahrwasser gekommen, ich bin zurückhaltend hoffnungsvoll, was die gesundheitspolitische Lage angeht. Aber wir sind in Europa gerade in den bisher schwierigsten Wochen des Jahren. Wenn wir schauen, was in Paris oder in weiten Teilen Italiens passiert, gibt es noch keinen Grund zum Jubeln.
Es war sicher entscheidend, dass wir den Harakiri-Hochrisiko-Kurs der Wirtschaftskommission im Parlament bremsen konnten, sonst wären wir jetzt in der gleichen Situation wie diese Länder. Ich finde den Kurs der vorsichtigen Öffnung des Bundesrates richtig.
Jetzt beginnen die neue Teststrategie und die Impfkampagne langsam zu greifen. Das ist erfreulich. Aber wir müssen uns bewusst sein, dass es noch eine Weile dauern wird, bis wir zu einer Art Normalität zurückfinden.
Nau.ch: Aber Sie wollen noch weiter gehen.
Cédric Wermuth: Wir haben jetzt einen Plan vorgeschlagen der dafür sorgt, dass die soziale Ungleichheit nicht weiter zunimmt. Die kommenden Monate sind unsicher: Wie entwickeln sich Arbeitslosigkeit, Lebensbedingungen und Perspektiven für KMUs, Kultur oder Jugendliche?
Deshalb muss der Bundesrat ein Neustart-Programm präsentierten für eine ökologische, soziale und geschlechtergerechte Schweiz. 60 Milliarden Franken ist absolut machbar und entspricht immer noch weniger als 10 Prozent des jährlichen BIP.
Nau.ch: Viele begehren bereits jetzt auf, wollen oder können sich nicht mehr an die Massnahmen halten. Die Jugendlichen, wie gerade in St. Gallen gesehen, Teile der Wirtschaft, auch das Gesundheitswesen. Da spielen nicht nur wissenschaftliche oder finanzielle Fakten eine Rolle, sondern auch die Psyche.
Cédric Wermuth: Natürlich, mir hängen die Massnahmen ja auch zum Hals raus. Aber ich mache eigentlich die Erfahrung, dass die Menschen sehr gut verstehen, wie schwierig das auch für die politischen Entscheidungsträger ist. Die Situation wird jetzt sicher auch mit dem wärmeren Wetter erträglicher.
Aber Sie haben Recht, die Massnahmen fordern teilweise einen hohen Preis, gerade psychisch. Die Isolation ist gerade für junge Menschen oder Personen, die alleine leben, schwierig. Wir müssen hier die notwendige Unterstützung bieten, auch als Gesellschaft. Aber es wäre noch gefährlicher, nun überstürzt alle Massnahmen aufheben zu wollen.
Aber wie gesagt, wir müssen auf jeden Fall Richtung Sommer blicken, ob wir mit den Wirtschaftshilfen auf Kurs sind. Wir dürfen die Leute nicht fallen lassen – weder die Jugendlichen noch die Wirtschaft. Jetzt ist aber der falsche Moment, sich zu empören, denn jetzt haben wir das erste Mal wirklich ein Öffnungsperspektive.
Nau.ch: Die «erweiterte Teststrategie» soll massgeblich dazu beitragen. Ist sie erfolgsversprechend?
Cédric Wermuth: Sie ist ein wichtiger Baustein. Nach einem Jahr Pandemie wissen wir aber, dass es kein Wundermittel gibt. Es braucht die Kombination von allen Massnahmen, nur dann kommt man an ein Ziel.
Ich begrüsse die erweiterte Teststrategie sehr, solches hätte man im Rückblick sicher früher besser machen können. Solche Dinge müssen wir für die Zukunft aufarbeiten. Aber immerhin diskutieren wir jetzt über Lösungen, vor ein paar Monaten waren die noch weit weg.
Wir lernen alle fortwährend dazu, Zum Beispiel, was für ein logistischer Aufwand es ist, die ganzen Impfstoffe zu den Leuten zu bringen.
Klar, es gab Fehler. Teilweise liegt dies sicher daran, dass man die Pandemie-Vorbereitungen über Jahre hinweg verschlafen hat. Das muss man alles aufarbeiten, die zuständigen Kommissionen sind auch bereits an der Arbeit. Aber davon darf man sich jetzt nicht bremsen lassen.
Nau.ch: Was ist denn jetzt zentral? Was sollen jetzt die nächsten Schritte sein?
Cédric Wermuth: Jetzt liegt die Verantwortung primär bei den Kantonen: Die Hilfsgelder für die Wirtschaft und die Kultur müssen jetzt endlich ohne Verzögerungen und Fehler fliessen und die Impfkampagne und Teststrategie müssen umgesetzt werden.
Was uns mit Blick in die Zukunft Sorgen macht, ist die Situation bei den Lehrstellen und beim Berufseinstieg der jungen Menschen. Dort muss man sicher ein Auge darauf haben, ich befürchte, da werden Massnahmen notwendig sein.
Was sich jetzt auch zeigt ist, wie gefährlich die die Abhängigkeit von ein paar Pharmamonopolisten ist. Es kann nicht sein, dass nun mit den Impfstoffen riesige Gewinne gemacht werden. Kurzfristig müssen wir die Patente für Medikamente und Impfstoffe aufheben, damit alle Länder genug Impfdosen erhalten. Und längerfristig müssen wir jetzt eine öffentliche Impfstoffproduktion aufgleisen.
Das Parlament hat die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen. Wir werden auch nächstes Jahr und vielleicht darüber hinaus Impfstoffe gegen Covid-19 sowie andere ansteckende Krankheiten brauchen. Dass es jetzt zu wenig Impfdosen gibt, ist klar. Aber für 2022 gibt es keine Ausreden mehr.
Nau.ch: Auf was muss sich die Bevölkerung einstellen?
Cédric Wermuth: Ich bin wie gesagt sehr hoffnungsvoll, dass der Bundesrat weiter Richtung Öffnungschritte gehen kann. Wir wünschen uns alle einen Sommer mit Freizeitanlässen und Kulturveranstaltungen.
Aber wie gesagt, Prognosen wage ich keine mehr. Die nächste Etappe ist dann erreicht, wenn wir wirklich hoffentlich Ende April mit der Impfung der Risikogruppen durch sind.
Nau.ch: Sie haben hohe Erwartungen an den Bundesrat – er soll nichts weniger als 60 Milliarden zusätzlich locker machen. Das ist die Grössenordnung eines regulären Jahresbudgets der Schweiz.
Cédric Wermuth: Es ist weit weniger als andere Länder jetzt ausgeben. Kurzfristig muss es darum gehen, Arbeitslosigkeit zu verhindern und allen, die ihre Arbeit verlieren, schnell wieder eine Perspektive zu bieten.
Corona hat gezeigt, wo unsere Gesellschaft verletzlich ist. Zu viele Menschen arbeiten in systemrelevanten Bereichen zu schlechten Löhnen. Zu viele sind nicht gut abgesichert.
Es fehlen zehntausende Pflegekräfte. Die Probleme, die wir schon vor der Pandemie hatten, sind noch deutlicher sichtbar geworden. Auch ein Coronavirus kann die Klimaerhitzung nicht zum Verschwinden bringen.
Wir schlagen deshalb Investionen in vier Bereiche vor: Ins Gesundheitssystem, in die Bildung, in die Klimagerechtigkeit und in die Infrastrukturen, gerade im Bereich der neuen Technologien und der Digitalisierung. Das von der SP geforderte Neustart-Programm würde die Lebensbedingungen der Menschen massiv verbessern und gleichzeitig die Stärken der Schweiz betonen.