SP-Funiciello über Femizide: «Die Lage ist höchst problematisch»
In Sachen Prävention von Femiziden hinke die Schweiz hinterher. SP-Nationalrätin Tamara Funiciello möchte dies ändern: «Die Lage ist höchst problematisch.»
Das Wichtigste in Kürze
- Femizide sind hierzulande keine Seltenheit, eine Statistik dazu wird aber nicht geführt.
- Die Schweiz hat die «Istanbul-Konvention», ein Abkommen gegen Gewalt an Frauen, signiert.
- Ein Expertinnen-Gremium bemängelte letztes Jahr aber deren Umsetzung in der Schweiz.
- Nationalrätin Tamara Funiciello erklärt: Die Vorgaben würden weitgehend nicht umgesetzt.
Alle zwei Wochen wird in der Schweiz eine Frau durch ihren Ehemann, Lebensgefährten, Ex-Partner, Bruder oder Sohn getötet. Jede Woche überlebt eine Frau einen versuchten Femizid. Bislang sind hierzulande alleine im Jahr 2023 sechs Frauenmorde begangen worden. Zuletzt wurde in Erlen TG eine 39-Jährige von ihrem Ehemann tödlich verletzt.
Wenn in der Schweiz eine Frau aufgrund ihres Geschlechts ermordet wird, wird das nicht als Femizid benannt. Überdies existiert in der Eidgenossenschaft keine separate statistische Erfassung der Taten. Gegenüber anderen europäischen Ländern ist die Anzahl Frauenmorde hierzulande vergleichsweise hoch, während Präventions- und Schutzmassnahmen dünn angesiedelt sind.
Tamara Funiciello über Femizide: «Die Lage ist höchst problematisch»
Bereits 2021 hatte SP-Nationalrätin Tamara Funicielllo deshalb einen Antrag an den Bundesrat gestellt: Dieser sah vor, dass Femizide in der Kriminalstatistik erfasst und als solche benannt werden sollten. Im Parlament wurde der Vorstoss aber abgelehnt. Die aktuelle Lage nennt Funiciello deshalb «höchst problematisch».
Gegenüber Nau.ch erklärt die Bernerin: «Die Schweiz hat durch die ‹Istanbul-Konvention› eigentlich die Aufgabe, Femizide als geschlechterspezifische Gewalttaten wahrzunehmen. Ausserdem müsste sie dafür sorgen, dass diese nicht mit tieferen Gefängnisstrafen verurteilt werden, als andere Morde.»
Justizdepartement positioniert sich
Auf Anfrage positioniert sich das Eidgenössische Justizdepartement folgendermassen: «Zur Umsetzung der ‹Istanbul-Konvention› wurde im Sommer 2022 der ‹Nationale Aktionsplan (NAP) zur Umsetzung der Istanbul-Konvention 2022-2026› ins Leben gerufen. Dabei wurden 44 Massnahmen ergriffen. Die Umsetzung dieser Massnahmen geschieht unter Mitwirkung von Bund, Kantonen, sowie der Städte und Gemeinden.»
Ebenso verwies das EJPD auf die erarbeitete «Road Map», die einen «Meilenstein in der Umsetzung der ‹Istanbul-Konvention› darstellt». Darin seien konkrete Massnahmen formuliert, unter anderem bei der Nutzung technologischer Möglichkeiten zum Schutz von Opfern.
Expertinnen kritisieren Schweizer Handhabung
Um das zu tun, brauche es aber Zahlen, hebt Funiciello hervor. «GREVIO, das unabhängige Gremium von Expertinnen und Experten des Europarats, hat die Schweiz unter anderem dafür gerügt.» Die Schweiz habe keine klare Strategie, wenn es um die Prävention von Femiziden gehe. Die «Istanbul-Konvention» biete eine Anleitung, wie dies angegangen werden könnte, doch die Schweiz weigere sich über weite Teile diese umzusetzen.
Im November 2022 forderte GREVIO die Schweiz dazu auf, Massnahmen zu ergreifen, damit die Behörden geschlechtsbezogene Gewalt beim Namen nennen. Die bestehenden Massnahmen in der Schweiz würden nicht alle Formen der Gewalt gemäss «Istanbul-Konvention» abdecken. Ebenso fokussiere sich die Arbeit der Schweizer Behörden vor allem auf häusliche Gewalt, während andere Formen vernachlässigt würden. Überdies gebe es keine Begrifflichkeiten und Terminologien für geschlechterbezogene Gewalt: Das Wort «Femizid» sei kein Bestandteil der politischen und medialen Sprache.
Per Interpellation will Tamara Funiciello dieses Anliegen nun erneut im Parlament vorbringen. Im eingereichten Text stellt die Nationalrätin die Frage: «Wie gedenkt der Bundesrat, die Aufforderung von GREVIO umzusetzen?» Der Vorstoss zielt darauf ab, eine einheitliche Terminologie zu entwickeln und könnte in diesem Anlauf mehr Aussichten auf Erfolg haben: Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider nannte den Schutz vor häuslicher und sexualisierter Gewalt einen der «Schwerpunkte ihrer Politik».
Auch deshalb zeigt sich Tamara Funiciello hoffnungsvoll, «dass Dinge in Bewegung kommen». Gleichzeitig verlasse sie sich aber nicht auf eine Bundesrätin. «Wir müssen weiter auf die Strasse, um Sichtbarkeit zu schaffen.»