Bundesrat

Vor 30 Jahren war der Bundesrat auch nicht besser

Matthias Bärlocher
Matthias Bärlocher

Bern,

Nach 30 Jahren werden geheime Bundesratsdokumente öffentlich. Nebst dem EWR-Debakel zeigt sich: Es ist immer das Gleiche mit diesem Bundesrat. Ein Kommentar.

Bundesrat Felber Delamuraz Villiger
Die Bundesräte Jean-Pascal Delamuraz, Rene Felber und Arnold Koller, v.l.n.r., kommentieren die verlorene Abstimmung nach dem Nein zum EWR, am 6. Dezember 1992. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Nach 30 Jahren werden geheime, diplomatische Akten des Bundes öffentlich.
  • Bei 1992 interessiert vordergründig die EWR-Abstimmung.
  • Andere Unterlagen zeigen: Es hat sich nicht viel geändert seither.

Vor dreissig Jahren war die Welt noch eine andere – und die Schweiz, ja die Schweiz, die erst recht. Das zeigen jetzt veröffentlichte, vertrauliche diplomatische Dokumente aus dem Jahr 1992. Historiker stürzen sich darauf, denn nun kann man nachlesen, welcher Bundesrat die Volksabstimmung über den EWR so richtig verbockt hat.

Knapp daneben, damals und heute

Nachlesen kann man aber auch, und man weiss nicht so recht, ob das amüsant oder tragisch ist, dass die Schweiz in 30 Jahren wenig dazugelernt hat. Der Bundesrat gibt sich und hat Mühe. Oder er schreitet forsch voran, nur tut er das offenbar seit 30 Jahren an der Stelle. Zu diesem Schluss muss man kommen, wenn man auch Dokumente vergleicht, die nicht nur mit unserer geplagten Beziehung zu Europa zu tun haben.

Sind Sie zufrieden mit der Wahl der neuen Bundesräte?

Zum Beispiel der Schweiz Pavillon an der Weltausstellung in Sevilla: Mit dem Slogan «Suiza no existe» (Die Schweiz gibt es nicht) irritierte die offizielle Schweiz Einheimische und Zugereiste. «So ist es denn nicht verwunderlich, dass unser Pavillon da und dort als elitär und heute seitens der Verantwortlichen als erklärungsbedürftig bezeichnet wird», schrieb der Schweizer Botschafter nach Bern.

Expo Suiza no existe
Im weithin sichtbaren Pavillon der Schweiz an der Expo 1992 in Sevilla (links) wurden die Besucher darauf hingewiesen, dass es die Schweiz gar nicht gebe. - DODIS / admin.ch

2022 irritiert der Bund dafür mit «frechen» Kampagnen zu Affenpocken (mit Emojis) oder Energiesparen (mit Tiefkühlpizza). Aber auch auf weltpolitischer Ebene kommt einem fast alles irgendwie bekannt vor.

Klima & Katastrophen

1992 wollte die Schweiz zusammen mit Brasilien die Klimakonvention voranbringen, oder wie es damals hiess: «die Verhandlungen auf politischer Ebene zu deblockieren». Es brauche Druck auf die USA und mehr Mittel für Entwicklungsländer. Vergangenes Jahr reiste Umweltministerin Simonetta Sommaruga an die Klimakonferenz in Glasgow, um sich für «einheitliche und griffige Regeln» einzusetzen. Und eine gerechte Finanzierung von Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern.

Simonetta Sommaruga
Simonetta Sommaruga an der Weltklimakonferenz COP26 im schottischen Glasgow. - Keystone

Ernüchternd: Eindringlich warnte 1992 der Bundesrat, Süd- und Ostafrika werde «von der grössten Dürre seit Menschengedenken heimgesucht.» Aktuell werde das Horn von Afrika «von einer der schlimmsten Dürren der jüngeren Geschichte heimgesucht», schreibt der Bundesrat letzten Frühling. Wir kommen nicht weiter – oder haben nichts aus der Geschichte gelernt.

Die Schweiz würde ja schon, wenn die Welt endlich mal...

Vielleicht liegt es ja gar nicht am Bundesrat im Speziellen, sondern an der Welt im Allgemeinen, die sich im Kreis dreht. Nach dem «Erdgipfel» in Rio de Janeiro 1992 hielt die Schweizer Delegation in einer Aktennotiz fest: «Die Schweiz hätte sich in gewissen Punkten ein weitergehendes Engagement gewünscht.» Nach dem Weltklimagipfel in Glasgow fand Bundesrätin Sommaruga: «Wir konnten das Schlimmste verhindern», aber zufrieden sei man nicht.

Erdgipfel Rio Flavio Cotti
Die 103 am Erdgipfel in Rio anwesenden Staatschefs, darunter Bundesrat Flavio Cotti in der zweiten Reihe Mitte, der als einziger nach rechts blickt. - DODIS

Trotz Schutzmacht-Mandat befand man sich 1992 wie 2022 in einer Krise mit dem Iran, wegen diversen Menschenrechts-Themen. Vor dreissig Jahren lancierten Bundesrat und Parlament einen Aufruf zur Einhaltung des Völkerrechts nach den Gräueltaten im Jugoslawienkrieg. Letztes Jahr folgte derselbe Aufruf an die Adresse Russlands, wohl mit demselben Erfolg.

À propos Russland: 1992 traf sich Staatssekretär Frank Blankart mit dem russischen Vize-Aussenminister, einem gewissen Sergej Lawrow. Der heutige Aussenminister soll damals gesagt haben, Belarus, Kasachstan und Armenien und andere ex-Sowjet-Staaten seien an einer Zusammenarbeit interessiert. Die Ukraine aber mache weiterhin Probleme, heisst es vielsagend in den damaligen Akten.

Wie nahe kommen sich Schweiz und Nato?

Der Bundesrat scheint immer etwas mehr zu wollen, aber irgendwie nicht mit letzter Konsequenz. Vor 30 Jahren schrieb Militärminister Kaspar Villiger einen Brief an den Kollegen Bundespräsident: «Die Schweiz will in der europäischen Sicherheitspolitik eine aktive Rolle spielen.» Wie andere neutrale Staaten solle man deshalb eine Annäherung an die Nato suchen, «ohne eine direkte militärische Kooperation einzuleiten.»

Kaspar Villiger Brief Nato
Ausrisse aus dem Brief des Chefs des Militärdepartements, Bundesrat Kaspar Villiger, zur Sicherheitspolitik. - DODIS

Ist seither nichts passiert? Denn vergangenes Jahr beschlossen Verteidigungsministerin Viola Amherd und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, enger und besser zusammenzuarbeiten. Selbstverständlich «unter Berücksichtigung der Schweizer Neutralität». Na, so wird das ja wohl nie was mit uns beiden.

Nicht gut, aber überdurchschnittlich

Immerhin kann man die sich wiederholende Geschichte ja auch positiv sehen: So schlimm wird es heute ja wohl nicht sein, wenn es damals plusminus dasselbe Lamento war. Die anderen sind nämlich auch nicht besser.

So schliesst der Schweizer Botschafter in Spanien 1992, dass der Schweizer Expo-Pavillon immerhin Gesprächsstoff lieferte. Und: «Wie ich im Verlaufe verschiedener Gespräche mit Ausstellungsbesuchern und im Quervergleich mit den Pavillons anderer Länder feststellen konnte, hebt er sich vorteilhaft vom Durchschnitt ab.»

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